Der russischstämmige Pianist Simon Nabatov gilt als Kind zweier Welten: Die klassische Pianoliteratur beherrscht er ebenso wie den Jazz, die harmonische Komplexität ebenso wie die avantgardistische Befreiung von allen Konventionen. Für das Jazzfest Bonn, das in diesem Jahr sowohl das Klavier als auch das Überschreiten von Grenzen als Motto ausgewählt hat, ist er damit automatisch eine zentrale Figur. Im Kammermusiksaal des Beethovenhauses hat er nun ein Doppelkonzert der besonderen Art gegeben: Das eine mit dem Saxofonisten Matthias Schubert, das andere mit Trompeter Ralph Alessi.
Das formstrenge Gebäude ist für ihn die perfekte Bühne: Die ihm innewohnende Energie kann sich hier ganz entfalten, verleiht ihm Flügel und trägt den 22-Jährigen in den Äther. Herrlich, wie er bei Pat Mathenys „Always and Forever“ weite Teile ganz allein bestreitet oder wie er mit der kraftvoll tönenden Eagle-Blockflöte zu zaubern vermag. Ohne Johanna Summer wären diese Höhenflüge allerdings weitaus schwieriger. Die Pianistin ist ebenfalls eine Meisterin ihres Instruments, die mühelos über die Tasten tanzt und Manz ein ums andere Mal Starthilfe gibt. Sie selbst bleibt dagegen lieber geerdet, ist eher introvertiert als extrovertiert, mehr Teamplayerin als Rampensau. Ob im Duo oder solistisch, stets hält sie sich zurück, versucht eher zu harmonieren statt zu dominieren und hält das jeweilige Stück zusammen, wenn Manz mal wieder abhebt.
Eigenwillig sind beide Gäste. Schon Schubert ist speziell, zumindest wenn man sich eine zumindest rudimentäre Tonalität erhofft. Doch dem hat der 63-Jährige längst entsagt. Er schnarrt, grunzt, schnaubt, faucht, prustet, wiehert und krächzt – aber er tönt nicht. Wie auch, scheint er sich doch in einem Universum jenseits des Klangs zu bewegen, und selbst wenn er aus diesem wieder zurückkehrt, bleibt seine Verbindung zu jener anderen Welt offen. Insofern ist er im wahrsten Sinne des Wortes ein Grenzgänger, einer, der sein Saxofon als Schlüssel in das Reich der Geräusche nutzt, der das gesamte Potenzial seines Instruments zu ergründen versucht und der eigenen Angaben zufolge nach neuen Möglichkeiten sucht, Töne, Geräusche und Klangeffekte in einen musikalischen Kontext zu bringen. Simon Nabatov ermöglicht ihm genau dies, ist kongenialer Partner und zugleich Halter einer Rettungsleine, die Schubert den Weg in Melodie und Harmonie weist. Mit seiner Virtuosität schafft er brillante Grundierungen, mit seinen Soli Kontraste zu Schuberts „epileptischem“ Spiel, wie dieser seinen Stil selbst beschrieben hat. Das ist anstrengend, ohne Frage, auch für die Zuhörer. Allerdings wollen die beiden ihre Musik ganz bewusst nicht als Affront verstanden wissen, sondern als Abenteuer. Und auf das hat längst nicht jeder Lust, wie der Schwund in der Pause zeigte.
Ganz so abstrakt wie Schubert ist Ralph Alessi derweil nicht. Zwar lässt sich der Trompeter ebenfalls nicht in rhythmische oder harmonische Schubladen stecken, lässt er zumindest dem Ton noch Raum.Und zwar nicht zu knapp. In Nabatovs „Autumn Music“ lotet er vielmehr den gesamten Tonumfang seines Instruments aus, während Nabatov selbst verwickelte Melodielinien und Harmonie-Cluster miteinander verschmilzt. Ein bemerkenswertes Klangerlebnis und ein neues Abenteuer. Eines, das die Ohren ganz schön fordert, aber dennoch zugänglicher ist als das vorhergehende. Das muss man nicht mögen. Aber wertschätzen.
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