Der Weg zur Macht ist mit Blumenkohl gepflastert. Unzählige Karfiolköpfe – und auch einige menschliche – müssen rollen, um Arturo Uis Aufstieg vom kleinen Gangster zum Unterwelt-Herrscher von Chicago zu sichern, und von dort aus ist der Griff nach der Weltherrschaft nicht mehr weit. Und alles nur wegen des Grünzeugs. Klingt absurd, ist aber wahr, zumindest in Bertolt Brechts skurriler Groteske „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, das jetzt im Bonner Schauspielhaus Premiere feierte. Mit dieser Parabel skizziert Brecht, der den Text 1941 im finnischen Exil schrieb, die Machtergreifung Hitlers, dem er aber zugleich Züge von Al Capone verlieh. In der Bundesstadt hat sich nun Regisseurin Laura Linnenbaum des Stoffes angenommen – und ihn mit einem guten Blick für die Balance zwischen Wahnsinn und Ernsthaftigkeit inszeniert.
Uis Weg beginnt mit der Kohlkrise, einer Folge der strauchelnden Wirtschaft: Ein Konsortium aus Gemüsehändlern sucht nach Möglichkeiten, ihren Gewinn zu steigern, holen mit Hilfe einer Intrige
den alternden, ehrwürdigen Politiker Dogsborough (stark: Andreas Leupold) ins Boot und müssen sich schließlich an Arturo Ui (Christian Czeremnych) wenden, der den so genannten Karfiol-Trust schon
länger im Auge hat und die Gelegenheit nutzt, um in der Gesellschaft aufzusteigen. Dabei schüchtert er sowohl die Bevölkerung als auch die Justiz ein, geht über Leichen und hat bereits größere
Ziele als nur die Kontrolle über Chicago. Die Parallelen zu Hitlers Aufstieg sind dabei vielfältig: Uis Beziehung zu Dogsborough ähnelt der Hitlers zu Generalfeldmarschall und Reichspräsident
Paul von Hindenburg, der Brand des ehrbaren Händlers Hook (Riccardo Ferreira) spiegelt den Reichstagsbrand wieder, und die Ermordung von Ciceros Volksvertreter Dullfeet entspricht der des
österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß.
Obwohl Brecht selbst den „aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ als „Historienfarce“ bezeichnet hat, verbietet der ernste Hintergrund des Stückes eine allzu brachiale Überzeichnung. Die
Inszenierung muss ganz im Gegenteil sowohl zum Lachen anregen als auch dafür sorgen, dass dem Publikum dieses im Halse stecken bleibt. Diese Herausforderung meistern Laura Linnenbaum und ihr
Ensemble allerdings souverän. Jederzeit kann die Stimmung auf der nackten Bühne umschlagen, kann das Lächerliche bedrohlich und das Alberne zu tödlichem Ernst werden. Vor allem Christian
Czeremnychs Arturo Ui ist entsprechend facettenreich: Anfangs ein Feigling mit Angst vor der Justiz, wird er gnadenlos und manipulativ, sobald die Dinge zu seinen Gunsten stehen. Dabei ist er
unsicher im Umgang mit dem Volk, bis er sich die Hilfe eines Schauspielers (Bernd Braun) sichert und ausgerechnet mit Hilfe der Antonius-Rede aus Shakespeares „Julius Caesar“ seine Rhetorik
schult und sich nach und nach zu einem Verbrecher mit Messias-Komplex mausert. Überzeugend sind aber auch Uis Anhänger, Jakob Eckstein als der hinterlistige Giuseppe Givola und Timo Kählert
als treu ergebener Ernesto Roma; Lena Geyers Emanuele Giri mit ihrem ständigen Gekicher wirkt dagegen mitunter ein wenig eindimensional, kann aber auch herrlich böse wirken.
Natürlich erlaubt das Stück inszenatorisch viele Freiheiten, fordert diese sogar geradezu ein, und Linnenbaum lässt sich in dieser Hinsicht wahrlich nicht lumpen. Allerdings gerät dadurch die
zentrale Gerichtsszene, bei der erstmals Ui die vollkommene Kontrolle besitzt, ein wenig zu lang: Der Gangsterpate gibt als Puppenspieler Mimik, Gestik und Worte vor, Justiz und Zeugen müssen ihm
folgen – an sich ein schöner Einfall, der jedoch auf ein paar Wiederholungen verzichten könnte, zumal die Inszenierung mit drei Stunden (inklusive Pause) durchaus davon profitiert hätte. Gleiche
gilt für den zweiten Teil des Stückes, der sich in sich selbst zu verlieren droht und mehr Wert auf die Bilder als auf die Inhalte legt. Erstere sind in ihrem minimalistischen Ansatz allerdings
auch beeindruckend: Tische stapeln sich auf Tischen, Reihe um Reihe, durch die Hebebühne im ständigen Auf und Ab, eine Herrscher-Pyramide errichtend und einen Abgrund öffnend, in dem am Ende mit
Dullfeet der letzte Unbeugsame verschwindet, während oben der blau gekleidete Arturo (eine kleine Anspielung auf die AfD) zu sakralen Klängen seine Propaganda-Rede hält, umringt von blonden,
gleichsam uniformierten Kindern. So beginnt das Reich des Ui. Und das alles nur wegen ein paar Kohlköpfen.
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