Die Flammen lodern hoch, wieder und wieder. Dazu kracht und knallt es, während Laser durch die schwefelschwangere Luft flackern und ein treibender Beat jeden aus den Sitzen reißt. Kein Wunder: Immerhin wollen Kiss bei ihrem allerletzten Deutschlandkonzert noch einmal die Bühne abbrennen und zeigen, was Rock in seiner spektakulärsten Form ausmacht. In der Kölner Lanxess-Arena zieht die legendäre Band mit den ikonischen Schminkmasken daher alle Register und zündet ein atemberaubendes Feuerwerk, das keine Wünsche offenlässt – so wie es sich für ein Quartett gehört, das Musikgeschichte geschrieben hat. 50 Jahre lang haben Kiss den Rock geprägt, und schon in den ersten Minuten wird deutlich, dass Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer selbst bei ihrem Abschied von der Bühne Maßstäbe setzen können. Was für eine Show. Und was für ein Konzert.
Tatsächlich klingen Kiss einfach nur gut. Zugegeben, Stanley alias Starchild kreischt in seinen Ansagen manchmal ein bisschen stärker als nötig, erweist sich innerhalb der Songs aber als überaus
souverän. Gleiches gilt für Gene Simmons, der sich zwar regelmäßig für eine kleine Atempause zurückzieht, ansonsten aber so präsent ist wie eh und je, sei es mit seinem tiefen Gesang oder seinem
wilden Bassspiel. Er ist es auch, der sich in seinem Alter Ego als The Demon immer wieder in exaltierte Pose wirft, mit seiner langen Zunge über die Saiten (und einmal über das Gesicht von
Gitarrist Tommy Thayer) leckt und all das macht, was bei vielen anderen Bands als übertrieben wahrgenommen würde. Aber Kiss sind nun einmal nicht viele andere Bands. Und: Kiss fangen gerade erst
an. Sowohl Simmons als auch Stanley verstehen sich hervorragend darauf, mit dem Publikum zu spielen und es immer wieder aufs Neue zum Jubeln oder zum Singen zu motivieren – wobei ersteres
seltsamerweise tatsächlich mitunter notwendig ist. Letzteres natürlich nicht, ob es sich nun um simple „Yeah, Yeah, Yeah“-Refrains handelt oder um Verse aus „Psycho Circus“.
Zwei Stunden lang geben Kiss alles. „Let’s not stop, let’s keep going“, ruft Stanley irgendwann – und macht nicht nur weiter, sondern wird nur noch besser. Zugegeben, seine Bewegungen sind ebenso
wie die von Simmons und Thayer nicht mehr ganz so enthusiastisch wie früher, aber angesichts der schweren Plateau-Schuhe, die zu den ausgefeilten Kostümen aus Leder und Glitzer gehören, ist es
schon erstaunlich, dass sie überhaupt alle Ecken der massiven Bühne erkunden. Und sie gegebenenfalls auch von oben betrachten. Schon beim Opener „Detroit Rock City“ schweben sie von der Decke
herunter, und bei der dämonischen Metal-Nummer „God of Thunder“ steigt Simmons wieder empor, nachdem er zuvor diabolisch grinsend Kunstblut gespuckt hat. Kurz darauf, bei „Love Gun“, fliegt Paul
Stanley mit seinen 71 Jahren auf einem Luftring quer durch die Halle zu einer kleinen Zweitbühne. Alles für die Show.
Auch musikalisch lassen Kiss nichts anbrennen. Für ihre Abschiedstournee haben sie ihre größten Hits zusammengestellt, vom brachialen „War Machine“ über die Oldsschool-Rocknummer „Cold Gin“ bis
hin zum augenzwinkernden „Calling Dr. Love“, bei dem sich ausgerechnet „The Demon“ Gene Simmons angesprochen fühlt. Auch genehmigt sich jedes Bandmitglied mindestens ein Solo, wobei das von
Drummer Eric Singer im Nachgang zu „Psycho Circus“ mit Abstand am stärksten ist. Minutenlang lässt er nur seine beiden Basedrums im stetig treibenden Rhythmus pulsieren, bezieht zwischenzeitlich
auch das Publikum ein und jagt dann wieder herrlich präzise über seine Toms und Becken. „Lass das Tier in dir raus“, hatte Paul Stanley zuvor in Richtung Publikum gefordert. Singer hat dies
umgesetzt. Und gewonnen.
Am Ende, nach „I Was Made For Lovin’ You“ und „Rock And Roll All Nite“ als finale Zugaben, ist die Trauer groß. 50 Jahre Kiss, jetzt zieht die Band einen Schlussstrich. Zwar schließt zumindest
Paul Stanley eine Rückkehr nach Deutschland nicht grundsätzlich aus, zumal seine Mutter hier geboren wurde und er damit, so sagt er, eine besondere Beziehung zu diesem Land habe. Außerdem ist er
einfach zu gerne auf der Bühne, hat ebenso wie Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer den Rock gelebt – schwer vorstellbar, dass sich alle jetzt in den Ruhestand verabschieden. Doch zumindest
in der aktuellen Form haben Kiss das Ende ihres Weges nahezu erreicht; im Dezember 2023 wollen sie die endgültig letzten Konzerte in New York spielen. In Köln gehen die Fans denn auch mit einem
lachenden und einem weinenden Auge nach Hause. Immerhin: Einen besseren, feurigeren Abschied hätten Kiss nicht feiern können.
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