„Woyzeck“: „Aber es reicht nicht“

Woyzeck ist schon eine arme Sau. Rackert sich Tag und Nacht ab, um seine Freundin Marie und den gemeinsamen Sohn durchzubringen, ist Lohnsklave für seinen Hauptmann und Versuchskaninchen für den Arzt und dennoch – oder gerade deswegen – das Ziel von Demütigung und Spott. Er, der nicht etwa als Mensch sondern allein als Arbeitskraft wahrgenommen und selbst als Mörder nicht ernst genommen wird, ist heute mehr denn je eine aktuelle Gestalt. Nun holt das Euro Theater diese von Georg Büchner erdachte, nach Liebe und Anerkennung hungernde und sowohl psychisch als auch physisch leidende Figur in den eigenen Hinterhof und erzählt seine Geschichte in einer gleichzeitig grotesken wie empfindsamen Inszenierung von Regisseurin Julie Grothgar, die das gesamte Potenzial des Hauses offenbart.

Woyzeck (überaus intensiv: Markus Bachmann) ist ein Verlorener. Einer, der dazugehören möchte und der doch immer wieder zur Seite gedrängt wird, in jenen raren Momenten, in denen er tatsächlich mal da ist und nicht wie das weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“ im Bann der Uhr steht, ständig von einem Termin zum nächsten rennend. Schon allein diese Besessenheit, die wiederum einer Notwendigkeit geschuldet ist, grenzt ihn aus von Festen und Feiern mit seinem Freund und Kameraden Andres (Francisco Akudike Valcarcel), von intellektuellen Diskursen und anderen Genüssen. Selbst Marie (Emily Allan) hält ihn bestenfalls aus, will oft genug einfach nur fort, will mehr als nur Mutter und Hausfrau sein, die abends vor dem Fernseher vor sich hin vegetiert. Andererseits geht es ihr noch vergleichsweise gut, schließlich muss sie sich nicht ausschließlich von Erbsen ernähren, wie es der namenlose Doktor (Hannah Holthaus) von Woyzeck fordert. Dieses skrupellose Experiment ist übrigens keine literarische Erfindung: Der Chemiker Justus von Liebig hat es tatsächlich wie von Büchner beschrieben mit Soldaten durchgeführt, was bei den Probanden zu Wahnvorstellungen und dem Verlust über die Kontrolle der Muskeln führte. Und das alles für zwei Groschen täglich. Aber so lange das Leben eines Menschen nichts wert ist und Armut für genug Freiwillige sorgt…

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„Woyzeck“ zeichnet das Bild eines Verlierers, der alles versucht, um für sich und seine Familie eine Zukunft aufzubauen und der letztlich doch scheitert. Gefangen im Hamsterrad und geprägt von ständigen Wiederholungen tut er alles, um zu überleben, selbst wenn er dafür auf das Leben im weiteren Sinne verzichten muss. Dennoch verlangen alle mehr von Woyzeck, immer mehr. „Aber es reicht nicht“, diesen Satz zitiert Regisseurin Grothgar wie ein Mantra immer und immer wieder in recht eigenwilligen Film-Collagen, in denen ein Interview mit Jens Spahn ebenso Verwendung findet wie die Fabrikszene aus Charlie Chaplins „Modern Times“ oder eine Sequenz mit dem ständig überforderten Beaker aus der Muppet-Show, der zahlreiche Aufgaben parallel bewältigen muss, weil das nun einmal von ihm erwartet wird. Als Projektionsfläche dient dabei eine Hauswand – immerhin hat das Euro Theater das Publikum kurzerhand um 90 Grad gedreht und den verlebten Hof ebenso wie ein Fenster im ersten Stock zur Bühne gemacht. Es ist die perfekte Kulisse für diesen mitunter absurd-grotesken, gleichzeitig aber auch tragischen „Woyzeck“, gerade weil die Umbauarbeiten in der Budapester Straße noch immer nicht so weit vorangeschritten sind, wie das Theater es sich wünschen würde.

Am Ende ist Woyzeck ausgebrannt, ausgezehrt, ausgebeutet. Und er ist, das zeigen Julie Grothgar und ihr Ensemble eindrucksvoll, nur einer von vielen, die sich aufopfern und dadurch zum Opfer werden. Ihm fehlt die Kraft zur Veränderung, zum Aufstand gegen die Ausbeutung. Stattdessen erschießt er Marie, die fremdgegangen ist und damit all seine Bemühungen für ein gemeinsames Zuhause zurückweist. Es ist für ihn der einzige Ausweg, sich von allen Erwartungen und Verpflichtungen zu befreien. Damit es vielleicht zumindest einmal reicht.


Termine: 25.9., 26.9., jeweils 20 Uhr. Weitere Termine in Vorbereitung. Karten für 20 Euro (ermäßigt 9 Euro) erhalten Sie online auf www.eurotheatercentral.de oder telefonisch unter 0228 65 29 51.

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