„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“: Diesen Song würde Patrizia Moresco jetzt vielleicht nicht unbedingt als ihr derzeitiges Lebensmotto verwenden, dafür hat sie in der Vergangenheit eigenen Angaben zufolge zu gut und zu wild und zu viel gelebt. Aber ganz falsch hat Udo Jürgens nicht gelegen. Immerhin fühlt sich die in Schwaben aufgewachsene Wahlberlinerin mit italienischen Wurzeln in ihrem jetzigen Lebensabschnitt so gut wie lange nicht mehr, nicht zuletzt seit sie die Zeichen der Zeit akzeptiert und zu ihrem Körper jeden Morgen „Yes“ sagt. „Wir Frauen müssen uns einfach so lieben, wie wir sind“, sagt sie im Haus der Springmaus – und stürzt sich in den Alltag. Auch wenn der bei ihr ein bisschen anders aussieht als bei vielen anderen Damen ihres Alters.
Natürlich erfüllt Moresco bis heute alle Kriterien einer Rocker- oder Punkerbraut: Sie ist laut, derb, ehrlich und knurrig, schläft nach Möglichkeit bis elf Uhr morgens und träumt von
durchzechten Nächten voller Sex, Drugs und Rock ‚n‘ Roll. Frühaufsteher kann sie nicht verstehen, Gesundheitsfanatiker ebenso wenig. Und erst recht nicht die Generation Z, die vollmundig eine
Party ankündigt und dann um 23 Uhr immer noch die Musik unter Zimmerlautstärke spielen lässt, anstatt einfach richtig aufzudrehen, damit Moresco wenigstens auch was davon hat. Muss das denn sein?
„Wir hatten früher jede Menge Bölk und hinterher Gruppensex im Schlafsack“, sagt Moresco. Auf der anderen Seite ärgert sie sich aber dann – ein bisschen inkonsequent – über die „Haselnuss-Hulks“
aus dem Fitness-Studio, die mit ihrem Gangsta-Rap die Straßen zudröhnen, wenn sie nicht gerade in der „Mach dich krass“-Stunde zu Steinbeißern mutieren – ein Programm, an dem sich Moresco
übrigens auch mal versucht und daran scheitert, weil ihr Körper einfach nicht mehr will. Aber gut, mit dem hat sie ohnehin zu kämpfen. So hat sie sich beim Einträufeln der Augentropfen den Rücken
verrenkt, und zu einem anderen Zeitpunkt bei der Jagd nach einem zu früh eingefahrenen Zug die Plantaris-Sehne gerissen, die ein Teil der Menschen gar nicht mehr besitzt und die nicht ganz, aber
doch fast genauso überflüssig ist wie der Blinddarm. Aber egal. Positiv denken. Und „Yes“ sagen.
Seit 44 Jahren ist Moresco als Stand-Up-Comedienne unterwegs, als eine italienische Schnodderschautze mit Biss und Verstand, die ihren Therapeuten Lügen streift (der hatte ihr mal gesagt „Das
Leben ist nicht für jeden geeignet“, was sicherlich auf so manchen Angsthasen ebenso zutrifft wie für Trumpisten, Faschisten und sonstige radikalen Kräfte). Natürlich hagelt es Pointen, ob sie
nun über ihre eigentliche Vergänglichkeit spricht, über Designer-Vaginas oder über ihre Mutter, die immer wieder für ein paar Spitzen gut ist. Doch gleichzeitig verweist Moresco immer wieder
flüchtig auf die großen Probleme dieser Zeit, auf die Kriege, die Wohnungsnot, den Rechtsruck und die noch immer existierende Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Damit verortet sie ihre ins
Absurde überzeichneten Witze geschickt in gesellschaftskritischen Themen, lässt eine zweite Ebene mitschwingen und verliert doch nicht an Tempo, selbst wenn sie für einen Moment ernst wird.
Klasse.
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