Die wichtigen Geschäfte werden nicht in Konferenzräumen und Sitzungssälen gemacht – das ist die erste Regel in der Politik. Wer etwas erreichen will, der muss ins geheime Hinterzimmer der Macht gehen, an jenen Ort, wo seit jeher gnadenlos beschissen und verarscht wird und wo irgendwann jeder mal die Hosen runterlassen muss: Aufs Klo. Insbesondere in der Toilette des Bundestags wird gnadenlos geschachert und geschmiert, dass sich die Donnerbalken biegen. Hier sind sie alle zu finden, die ambitioniert-blauäugigen Newcomer und die abgeklärten alten Säcke, die Ghostwriter und die Saaldiener, die Schnüffler und die Hausmeister, und jeder hat eine eigene Agenda, die es in die Keramik zu meißeln gilt. Nun hat sich das Kabarett-Theater Die Distel dieses seltsamen Feuchtbiotops angenommen und dem Publikum im Haus der Springmaus einen Blick durchs Schlüsselloch ermöglicht.
Seit über 70 Jahren ist Die Distel mit ihrem klassischen Nummern-Kabarett eine feste Institution in der deutschen Kleinkunstszene. Beim 157. Programm setzt das Ensemble dabei auf Altbewährtes,
auf knackige Sketche und vereinzelte Lieder, die sich allesamt in das Bühnenbild mit seinen diversen, vielfältig nutzbaren Klodeckeln einpassen. Die Handschrift des Autoren-Duos Onkel Fisch ist
dabei zumindest für regelmäßige Besucher der Springmaus deutlich erkennbar: Statt großer Szenen gibt es schlaglichtartige Momentaufnahmen, die dafür mitunter um abstruse Tanz-Einlagen und
Slow-Motion-Elemente ergänzt werden. Zum Glück übertreiben es weder das Ensemble noch besagte Autoren mit dererlei Spielereien, sondern setzen sie vielmehr gewinnbringend ein. Zugegeben, manches
fordert den Schwenk in Richtung Klamauk sogar ein, darunter eine Hip-Hop-Nummer und ein Lied singender Klodeckel (beides mit Live-Musik von Falk Breitkreuz und Tilmann Ritter) oder auch die
Expedition ins Lobbyisten-Reich, die ein wenig an Grzimeks Tierleben erinnert und das merkwürdige Verhalten bestechungswilliger Raffzähne zur Paarungszeit immerhin sprachlich nüchtern
kommentiert. Auch der Plan zur bundesweiten Verkutschung des Verkehrs mit Hilfe von Droschken ist fast schon ein bisschen zu verrückt, selbst für die deutsche Politik – andererseits gelingt es
Timo Doleys, Jens Eulenberger und Caroline Lux immer wieder, die Balance zu wahren und auch solche Szenen mit viel Liebe zum Detail umzusetzen.
So absurd die Sketche auch sind: Die Realität ist oft noch schlimmer, und was so manche Politikerinnen und Politiker bislang verzapft haben, lässt sich kaum noch überbieten. Der Distel gelingt
aber auch das. Da trinken Christian Lindner und Friedrich Merz auf dem Abort auf ihre Männerfreundschaft und verbleiben dabei selbst im Rausch in bürokratischem Geschwurbel; dann wieder blamiert
sich Robert „Erklärbär“ Habeck, der mit einem Lied wieder das Vertrauen der Frauen zurückgewinnen will, die Poesie aber gnadenlos zerredet, weil er sich nach allen Seiten hin absichern möchte.
Und dann wäre da noch das Treffen von Alice Weidel Björn (oder Bernd?) Höcke, der sich ersterer als „Volksempfänger“ zur Verfügung stellt und ihr ein paar Gestaltungstipps gibt. Für ihn am
wichtigsten: Mehr Schnarren. Und Bellen. So wie ein gewisser Jemand, dessen Reden so manchen deutschnationalen Gedanken bis heute prägen. „Manche sagen, ich sei der Teufel“, erklärt sich Höcke
nach ihrem Abgang, „das amüsiert mich.“ Sprach’s und stimmt „Sympathy for the Devil“ an, während er von einer Rückkehr als Führer zweiter Wahl träumt. „Und wer mich nicht verhindert / hat aus
Geschichte nichts gelernt.“
Vor klaren Worten hat sich Die Distel auf jeden Fall noch nie gescheut, auch wenn ihr das in der DDR mitunter zum Verhängnis wurde und manche Pointe zensiert wurde. Im Haus der Springmaus kommen
vor allem die bitterbösen Nummern gut an, erst recht wenn dabei gewisse bekannte Gestalten (darunter auch Karl Lauterbach und Angela Merkel) gnadenlos durch den Kakao gezogen werden. Nach gut
zwei Stunden gibt es dafür denn auch tosenden Applaus.
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