Sera Kalo & Linda May Han Oh: Mantrische Klänge

Zwei eigenwillige Frauen haben im Post Tower ihre Vorstellungen von Jazz vertreten: Sera Kalo und Linda May Han Oh setzten am vergangenen Donnerstag im Rahmen des Jazzfests zwei außergewöhnliche Duftmarken, die vor allem rhythmisch Impulse setzten. Die gut gelaunte Dame aus der Karibik und die souveräne Bassistin gingen gekonnt über Genre-typische Restriktionen hinaus, ließen sich nicht einschränken und brachten konsequent ihre eigenen Klangvorstellungen mit ein, die sich aber mitunter im Kreis drehten. Oder in ihre Einzelteile zerfielen.

Sowohl Kalo als auch May Han Oh haben ein Faible für die Möglichkeiten der modernen Technik, lieben Synthi-Samples und Verfremdungseffekte, wenn auch in ganz unterschiedlichen Färbungen, die sich im Post Tower jedoch gut ergänzten. Während Kalo Elemente des karibischen Calypso und des Soul gleichermaßen nutzte und zusätzlich gerne Synthi-Samples von Bassistin Sofia Eftychidou integrierte, setzte May Han Oh vor allem auf Miniaturen, auf musikalische Phrasen in (gefühlter) Endlosschleife, wie ein Mantra oder ein Echo, das sie und ihre Band gerne übereinander stapelten und auf diese Weise mal einen Raum Klang- und mal einen Noise-Raum entstehen ließen. Das war komplex – aber auch höchst spannend. Zumindest meistens.

Artikel wird unten fortgesetzt

Den Anfang machte Sera Kalo, deren warmer Gesang die Seele berührte, der aber mitunter auch unvermittelt in Fragmente zerfiel und trotz einer spürbaren Nähe zu R’n’B-Ikone Erykah Badu in vielen Stücken weniger der Melodie als vielmehr dem Groove untergeordnet war. Letzterer konnte dank Schlagzeug, Bass und Percussion auch innerhalb von Sekundenbruchteilen die Richtung wechseln, vom entspannten Soul-Gefühl in urbanen Großstadt-Puls umschlagen (so wie beim Opener „Don’t Xplain“) oder in ein verspielt-augenzwinkerndes Springen wie etwa am Ende von „Can You Speak My Language“. Dabei verlieh das Quintett diesen komplexen Wechseln eine bemerkenswerte Leichtigkeit, vermied den Eindruck eines verkopft-bemühten Ausloten von Grenzen und deutete vielmehr eine mögliche Weiterentwicklung des Jazz an, die zumindest im Post Tower großen Anklang fand.

Linda May Han Oh, als Bassistin von Pat Matheny und Joe Lovano bereits eine etablierte Größe der US-amerikanischen Jazzszene, war stilistisch ebenso vielfältig wie innovativ, allerdings klanglich etwas formeller als Sera Kalo. Ihre Kompositionen wechselten ständig zwischen linearer und zyklischer Gestaltung, drehten sich im Kreis und schöpften Kraft aus der Rotation, bis sie irgendwann losließen und davonfloegen. Das war faszinierend, mitunter aber auch anstrengend, insbesondere dann, wenn die Bassistin und ihr Quartett zusätzlich mit Verfremdungs- und Verzerrungseffekten arbeiteten und sich dabei der Neuen Musik ebenso annäherten wie dem Modern Jazz. Der Harmoniegesang von Sara Serpa und May Han Oh diente dabei explizit nur als zusätzliche Klangfarbe, die Stimme als Instrument und nicht als Medium für Botschaften – einzelne Gedichte wie bei „Antiquity“ waren dabei die Ausnahme. „The past is replaying itself over and over again“, so lautete eine Zeile, „Die Vergangenheit wiederholt sich wieder und wieder“,  ganz so wie dieser mantrische Jazz, auf den man sich einlassen musste, der aber in all seinen Facetten unglaublich viel zu entdecken bot. Womit das Jazzfest Bonn einmal mehr sein Ziel erreicht hätte.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0