Diese „Musik“ tut weh. Wirklich, körperlich weh. Wenn sich Franz Danksagmüller auf dem Spielpult der Klais-Orgel des bis auf den letzten Platz belegten Bonner Münsters ausbreitet, so viele Tasten wie möglich mit seinem Körper abdeckt und gleichzeitig mit seinen Beinen und Füßen ein halbes Dutzend Pedale drückt, überwältigt sie jedes noch so geschulte oder leidgeplagte Ohr und setzt Schwingungen frei, die man sonst eigentlich nur von einem Metal-Konzert kennt. Auch wenn es da in der Regel etwas melodischer zugeht. Andererseits ist „Volumina“ von György Ligeti kein leichtes Stück, sondern vielmehr ein massives, das den zur Verfügung stehenden Raum komplett einnehmen möchte und jeden Zuhörer förmlich in die Sitze presst, während das Instrument bis an seine Grenzen gebracht wird. Schön ist das nicht, aber eine seltene Klangerfahrung – und für die ist das Bonner Jazzfest immer gut.
Natürlich bleibt Ligetis Komposition nicht durchgehend massiv. Vielmehr ist es die kontinuierliche Dynamik, die das Stück auszeichnet: Der Donner nimmt irgendwann ab, reduziert sich bis zum kaum Hörbaren und schwillt dann wieder an. „Volumina“ sei „extrem laut und extrem leise, extrem tief und extrem hoch, extrem dicht und extrem frei“, so beschreibt es Danksagmüller. Hauptsache extrem. Dagegen ist „Extempore“ von Bengt Hambraeus geradezu moderat, auch wenn Harmonik und Metrik weiterhin ausgeschlossen sind. Immerhin gibt es aber so etwas ähnliches wie eine Melodie, die sich aus der gesamten Bandbreite von Barock bis Futurismus zu speisen scheint, mal nach Bach klingt und mal nach Maurizio Bianchi.
Auch wenn Danksagmüllers Auftritt im Rahmen des Jazzfests ohne Frage eine prägende Erfahrung ist (ob im Guten oder im Schlechten, muss jeder selbst wissen), scheinen viele Konzertbesucher doch aufzuatmen, als Richard Galliano vor dem Aufgang zum Altarraum Platz nimmt und Linderung verspricht. Der Franzose ist der wahrscheinlich berühmteste und einflussreichste Akkordeonspieler seit Astor Piazolla – tatsächlich hat letzterer Galliano 1983 erst dazu ermutigt, seinen New-Musette-Stil zu erfinden. Gewissermaßen als Ehrerbietung spielt dieser nun unter anderem das herrlich schwermütige „Oblivion“ und „Adios Nonino“, sehr zur Freude des Publikums, das erneut überwältigt ist, diesmal aber von positiven Gefühlen. Keine Frage, Galliano ist ein Virtuose mit seinem Instrument, ein Großmeister der Ziehharmonika und ein Musiker, der mit der kleinen Schwester der Orgel musikalisch den Gegenentwurf zu Danksagmüllers Klangclustern liefert. Ob er nun ausdrucksstark seine eigenen Stücke spielt oder sich bei Erik Satie bedient, ob er die Herbstblätter fallen lässt („Les feuilles mortes“) oder mit „Imagine“ und „Moon River“ zwei der schönsten Balladen aller Zeiten feinfühlig und geradezu zerbrechlich durch den Münster schweben lässt, Gaillanos Kunst ist immer ein Genuss.
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