Ute Lemper + Rebecca Trescher Tentett: Diva auf Zeitreise

Was für eine Stimme! Kantig und widerspenstig kann sie wirken, mit ungeheurer Energie nach vorne drängend, und dann ist sie wieder ganz zart, gefühlvoll, wohlklingend. Und das große Spektrum zwischen diesen beiden Polen? Beherrscht Ute Lemper selbstverständlich ebenfalls. Die Sängerin, die es wie nur wenige andere deutsche Künstlerinnen zu Weltruhm gebracht hat, kann im Grund alles interpretieren, und bei ihrem Auftritt in der Bonner Oper, wo das Jazzfest Bonn anlässlich seines 15. Geburtstags ein Sonder-Jubiläumskonzert veranstaltet, tut sie genau das. Standards des Great American Songbooks, französische Chansons, jiddische Volkslieder, spanische Gedichtvertonungen und legendäre Musical-Nummern, all das und mehr gehört wie selbstverständlich zu Lempers Repertoire, das im Laufe der Jahre eine charakteristische Patina gewonnen hat. In der nahezu ausverkauften Oper weiß man das zu schätzen und genießt die Zeitreise, zu der Lemper eingeladen hat und mit der sie ihren eigenen Lebensweg nachvollzieht.

Die beiden Berlinerinnen, Jahrgang 1984 und Alumni der Folkwang Universität der Künste, nutzen Kafka eigentlich weniger für seine absurden Erzählungen als vielmehr wegen der Einsamkeit, die in vielen seiner Texte ein zentrales Motiv ist. Der unglückliche Junggeselle Blumfeld ist in gewisser Weise ein Gegenentwurf zu den Zwillingen, die überaus geschickt mit Identität und Individualität jonglieren. Mal wollen sie beide die selbe Figur verkörpern, dann wieder grenzen sie sich bewusst voneinander ab, die eine von einem Haus auf dem Land träumend und die andere vom pulsierenden Leben der Metropole, in der man auch um halb drei in der Nacht noch eine Feder-Boa kaufen kann, wenn man nur möchte.

Chronologisch geht Ute Lemper dabei nicht vor, sondern eher assoziativ. Ihr Rückblick ist erfüllt von „Melancholie im Angesicht der Vergänglichkeit“, wie sie selber sagt, weil am Ende nichts bleibt außer Erinnerungen. Die aber hat die 60-Jährige im Überfluss geschaffen, sowohl für sich als auch für andere. Also beginnt sie zu erzählen mit ihrer dunkel-samtigen Sprechstimme, die für Gänsehaut sorgt und die innerhalb von Sekunden umschlagen kann in einen kraftvollen Sopran, in einen Posaunen-Scat-Gesang oder einen von Shouts geprägten Jazz-Ton, den sie meisterhaft zu formen versteht. Ihre Band erscheint dabei mitunter obsolet, abgesehen von ihrem Pianisten Vana Gierig – auch Jazzfest-Leiter Peter Materna, der als Saxofonist das eigentliche Trio zum Quartett erweitert, hat nicht allzu viel zu tun. Alles dreht sich um Ute Lemper, die teils wehmütig und teils augenzwinkernd zurückblickt: Auf ihre Berliner Zeit in den 80er Jahren, in denen sie die Songs von Kurt Weill und Bertolt Brecht kennenlernte; auf ihre Auszeit in Paris, wo sie die Chansons lieben lernte und wo sie mit Marlene Dietrich telefonierte, mit der sie damals verglichen wurde; und auf ihre Erfahrungen in den USA, wo sie zur großen Broadway-Diva wurde und wo sie bis heute lebt. Dafür liest sie auch aus ihrer neuen, überaus poetischen Autobiographie „Die Zeitreisende“ vor, einem weiteren Zeugnis ihrer Leidenschaft für ihre Arbeit, die mitunter in Besessenheit umkippen kann. „Teufelsritt mit Engelsflügeln“, so bezeichnet sie ihre Karriere, zumindest jene Zeit, in der sie für manche Choreographien immer wieder den Kopf so heftig in den Nacken schmeißen musste, dass sie noch heute mit den Folgen zu kämpfen hat. Die Freude an Lempers Beruf und ihrer Berufung hat selbst dies nicht mindern können. Zum Glück.

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Sicherlich ist ein Großteil des Publikums in der Bonner Oper in erster Linie wegen Ute Lemper gekommen. Erinnern werden sich alle aber auch an den Auftritt von Rebecca Treschers Tentett im Vorfeld: Die Komponistin, die schon 2015 beim Jazzfest aufgetreten ist (damals in einem Doppelkonzert mit Nigel Kennedy), begeistert mit den vielschichtigen sinfonischen Klangfarben in ihren Stücken, bei denen sie das gesamte Potenzial ihrer Band abruft. Und das ist immens. Allesamt sind sie hervorragende Musiker, die in ihren Soli brillieren, allen voran Multi-Instrumentalist Anton Mangold (Harfe, Saxofon, Klarinette) und Cellist Eugen Batzijan, der zwischendurch auch mal Flamencogitarren-Partien auf seinem Instrument spielt. Trescher gewährt ihnen diese Freiräume, hält die Band ansonsten aber konsequent zusammen und führt sie durch komplexe Setzungen und vertrackte Rhythmen, die erfreulicherweise mit beachtlicher Leichtigkeit daherkommen. Klasse.


Das Jazzfest scheint kein Ende mehr finden zu wollen: Am 31. August und am 1. September spielen Pianist Hubert Nuss und Saxofonist Peter Materna im Collegium Leoninum, am 21. September kommt der finnische Pianist Iiro Rantala zurück nach Bonn (genauer gesagt in die Bundeskunsthalle), diesmal mit seinem Standards-Trio. Weitere Informationen und Tickets unter www.jazzfest-bonn.de.

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