6500 Besucher des Bonner KunstRasens waren am vergangenen Freitag hin und her gerissen zwischen Kult und Sport: Die Ohren in Richtung Bühne gespitzt und die Augen auf die Smartphones gerichtet, versuchten die Fans von ZZ Top den Spagat zwischen deftigem Bluesrock und dem Viertelfinalspiel Deutschlands bei der Fußball-EM 2024. Keine leichte Aufgabe angesichts eines nervenaufreibenden Spiels auf der einen und einem technisch beeindruckenden Konzert auf der anderen Seite. Frontmann Billy Gibbons, Drummer Frank Beard und der ehemalige Gitarren-Techniker Elwood Francis, der den vor drei Jahren unerwartet verstorbenen Dusty Hill ersetzt hat, machten von der ersten Sekunde an Druck, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Mit „Got Me Under Pressure“ hämmerte das Trio gleich einen ihrer größten Hits raus, bei dem der unverwechselbare Sound von Gibbons und das knackige Spiel von Beard bei den Fans für Euphorie sorgte. Doch leider währte das Glück nicht allzu lange, wegen der Spanier natürlich – und wegen eines extrem kurzen Auftritts.
Es steht außer Frage, dass ZZ Top auch nach 55 Jahren Bandgeschichte jede Menge Energie unter der Haube haben. Francis, der zu Beginn mit einer goldglänzenden 17-saitigen Mega-Gitarre auf die
Bühne kam (ein typisch augenzwinkernder Spaß von Gibbons, der dem „Neuling“ das Instrument aufgezwungen hatte), erwies sich als souveräner Nachfolger von Hill, und das nicht nur wegen der wilden
weißen Mähne und dem dazu gehörigen Rauschebart. Derweil trommelt Beard stoisch staubtrockene Rhythmen, während Gibbons das macht, was er am besten kann und am liebsten macht: Dem Blues huldigen.
Dennoch fehlt etwas. Oder jemand. Die Spielfreude scheint auf jeden Fall in den meisten Momenten einer bloßen Pflichterfüllung gewichen zu sein. Die Interaktionen mit dem Publikum beschränken
sich auf ein Minimum, echte Improvisation ist Mangelware, und die Stücke werden mit viel Energie gespielt, scheinen aber gleichzeitig bis ins letzte Detail durchprogrammiert zu sein. Anders ist
kaum zu erklären, dass sich ZZ Top nach exakt 60 Minuten zum ersten Mal von der Bühne verabschieden. Zu diesem Zeitpunkt haben sie die meisten großen Hits der Band bereits über den KunstRasen
gejagt, darunter „Gimme All Your Lovin’“, „Legs“ und „Sharp Dressed Man“, alles keine großen Überraschungen – lediglich eine eigenwillige Cover-Version von Merle Travis’ „Sixteen Tons“ ließ
aufhorchen.
Der frühe Schlusspfiff war auf jeden Fall irritierend, auch wenn mit der niederländischen Band Sloper um die beiden Drummer Mario Goossens (Triggerfinger) und Cesar Zuiderwijk (Golden Earing)
sowie Baum’s Bluesbenders, die in Bonn ein Heimspiel hatten und stolz auf der für sie größten Bühne ihrer Karriere spielen durften, immerhin schon ein beeindruckendes Vorprogramm das Publikum in
Stimmung brachte. ZZ Top lassen sich dann auch erweichen und legen noch drei weitere Stücke nach, darunter das typisch stampfende „La Grange“, das unweigerlich in die Beine fährt und zum
Mitwippen auffordert. Schön, aber trotzdem ein bisschen wenig, zumal das Publikum nach dem EM-Aus durchaus noch ein bisschen Trost gebraucht hätte. So aber herrschte ab 21.30 Uhr Stille auf dem
KunstRasen. Und ob ZZ Top noch einmal wiederkommen? Lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Gibbons ist immerhin schon 74, andererseits hat er einst in einem Interview betont, dass er
spielen will, bis er tot umfällt. Die Hoffnung stirbt also zuletzt. Und vielleicht spielen er und seine Kollegen ja dann ein bisschen länger.
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