An Greta van Fleet scheiden sich die Geister. Die einen haben das Quartett aus Frankenmuth, Michigan mit dem Erscheinen ihres Debütalbums „Black Smoke Rising“ vor nunmehr sieben Jahren als
Epigonen von Led Zeppelin abgestempelt, die anderen ihren Retro-Sound bewundert. Steven Wilson, immerhin das Mastermind hinter Porcupine Tree und einer der spannendsten Vertreter melodischen
Progressive Rocks, hat sie 2019 in einem Interview für das Rock-Magazin „eclipsed“ als „armselige, drittklassige Led-Zeppelin-Imitation“ bezeichnet – ein ziemlicher Tiefschlag. Und zumindest
heutzutage meilenweit von der Wahrheit entfernt. Denn was die Gretas bei ihrem Auftritt vor rund 7000 Fans auf dem Bonner KunstRasen zeigen, ist eine exzellente, abwechslungsreiche und
vielschichtige Rock-Show einer Band, die selbstbewusst auf den Schultern von Riesen steht und zugleich dabei ist, ihren eigenen Weg zu beschreiten. Und der macht durchaus Lust auf mehr.
Tatsächlich unterscheidet sich der Sound von Greta van Fleet spätestens seit der Veröffentlichung ihres aktuellen Albums „Starcatcher“ deutlich von dem der Vorgänger. Dies gilt insbesondere für Sänger Joshua Kizka, dessen Stimme einst an Robert Plant erinnerte, inzwischen aber eher in Richtung Axl Rose tendiert. Vom ersten bis zum letzten Ton schreit er sich die Seele aus dem Leib, kraftvoll bis zur Ekstase und ohne Kompromisse. Dem ebenso charismatischen wie schillernden 28-Jährigen steht das gut, auch wenn er es mit dem Schreien mitunter überreizt. Aber gut, für ruhige Töne ist er eben nicht zu haben. Was Josh will, ist rocken. Und darauf versteht er sich ebenso gut wie seine beiden Brüder Jacob und Samuel und Drummer Danny Wagner. Vor allem Jacob eilt ständig mit seiner Gitarre von einer Bühnenecke in die andere, wirft sich in Pose und wirkt dabei erfreulicherweise nicht bemüht, sondern weitgehend authentisch. Sam, der seinen Bass gelegentlich zur Seite stellt und sich an die Keyboards begibt, ist da etwas zurückhaltender, kann aber auch die Show tragen.
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Angesichts der ausufernden Instrumental-Soli ist das auch gut so. Sie sind auch der Grund, warum einst der Vergleich zu Led Zeppelin aufkam – inzwischen könnte und müsste man aber ebenso sehr auf Rush, Cream und Jefferson Airplane verweisen, um nur ein paar weitere Namen in den Ring zu werfen. Oder man akzeptiert einfach, dass Greta van Fleet sich natürlich von all diesen Bands inspirieren lassen und sich vor allem in jungen Jahren (bei ihrem Debütalbum waren zwei Bandmitglieder noch nicht einmal volljährig) stark auf sie gestützt haben, aber niemandes Erben sein wollten und erst recht nicht sein wollen. Das haben sie gar nicht nötig. Inzwischen haben sie sich längst von ihren Vorbildern emanzipiert und begonnen, sich ihr eigenes Denkmal zu errichten. Und das sieht gar nicht mal schlecht aus: Psychedelische Texturen treffen auf progressive Riffs, (durchwachsene) Mundharmonika-Soli und treibenden Rock ‘n‘ Roll, dazu gesellen sich neuerdings Folk-Elemente und Blues-Phrasen. Eigentlich eine schöne Mischung, auch wenn Greta van Fleet noch ein bisschen aufpassen müssen, in diesem Strudel der Ideen nicht den Halt zu verlieren. In Bonn lavieren sich die Kizkas-Brüder (plus Wagner) aber weitgehend störungsfrei durch ihre Soli und die eigenwilligen, bildstarken Texte, sehr zur Freude des Publikums. Das genießt das Konzert sichtlich, auch dank des guten Sounds auf dem KunstRasen – die Veranstalter haben noch einmal in den Schallschutz investiert und können jetzt mit verbessertem Klang und höherer Lautstärke punkten. Bleibt nur zu hoffen, dass das junge Quartett – keines der Mitglieder ist jenseits der 30 – seinen Weg weitergeht. Und dass der irgendwann wieder nach Bonn führt.
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