Wie genau kann man Jamie Cullum beschreiben? Als Jazz-Pianist? Das trifft durchaus auf den 45-Jährigen zu, ist aber eigentlich zu wenig. Denn Cullum kann und macht mehr. Er beherrscht Latin und Soul, Funk und Boogie, Pop und Rock, kennt jede dieser Schubladen – und hat großen Spaß daran, den jeweiligen Inhalt auszukippen und alles auf einen Haufen zu schieben, um sich dann mit Wonne aus dieser Melange zu bedienen. Ist schließlich alles Musik, und mehr braucht Cullum nicht, um für Stimmung zu sorgen. Und wie. Auf dem Bonner KunstRasen hat er sich nun zwei Stunden lang in eine Art Rausch gespielt.
Es steht außer Frage, dass Jamie Cullum ein geborener Entertainer, ein virtuoser Pianist und ein fantastischer Sänger ist, der sein Publikum mühelos in seinen Bann ziehen kann. Egal mit welcher Art von Musik. Das kostet er aus: Gleich zu Beginn und zehn Minuten früher als ursprünglich geplant spielt er Cole Porters schmissiges „I Get A Kick Out Of You“, natürlich mit viel Tempo, um die bevorstehende Party in Schwung zu bringen. Bereits jetzt kann Cullum kaum stillsitzen, muss sich am Klavier beinahe dazu zwingen, und unmittelbar im Anschluss, bei „Get Your Way“, springt er schon nach vorne, verweilt kurz an den Congas und springt und tanzt dann wieder über die Bühne. Die rund 4200 Fans lassen sich nur zu gerne von der guten Laune und den pulsierenden Rhythmen anstecken – und dabei hat Jamie Cullum gerade erst angefangen. Da kommt noch mehr. Zum Beispiel eine Soul-Nummer mit Boogie-Einfluss: Ray Charles, „What I’d Say“. Die hat schon vor 65 Jahren das Publikum in die Ekstase getrieben, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Vor allem, wenn ein geborener Entertainer wie Jamie Cullum zusammen mit einer brillanten Band dieser Nummer ihren eigenen Drive geben.
Auf diese Weise macht Cullum weiter. Mehr noch, er legt ein ums andere Mal nach. Bei „Everybody Wants To Be A Cat“, der wilden Jam-Session aus Disneys „Aristocats“, wirbelt er wieder wie ein Kreisel mit Duracell-Antrieb über die Bühne, nur um dann sofort die Spannung zurückzunehmen und „Everlasting Love“ ganz zart und ohne Drums zu spielen. Dann wieder Tempo, ein bisschen Salsa-Feeling, und weiter geht’s. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen den Stücken, weil immer wieder neue Instrumental-Passagen alles zusammenbinden, mal soulig, mal poppig, mal mit Latin-Groove oder mit Funk-Anleihen. Immer stärker pulsieren die Grooves, die vor allem von der starken Rhythmus-Sektion getragen wird, während Saxofonist Tom Richards regelmäßig mit reizvollen Soli Akzente setzt, bis die Musik schließlich bei „You And Me Are Gone“ sogar den Sprung zum Rock schafft. Cullum haut in die Tasten, die E-Gitarre jault, der Bass tanzt und die Menge springt. Jazz oder Pop oder doch etwas anderes, diese Frage stellt sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich niemand mehr. Es ist einfach Musik. Gute Musik. Musik, die für diesen Abend gemacht zu sein scheint – was bei der „Bonn Improvisation“, die Jamie Cullum in den Zugaben präsentiert, tatsächlich sogar der Fall ist. Mehr können sich die Fans nicht wünschen. Was für ein Konzert.
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