Keane: Rückkehr der Melancholiker

Es soll Menschen geben, die Keane unter dem Stichwort „One-Hit-Wonder“ abgespeichert haben. Moment, Keane? War das nicht die Band mit der Weltschmerz-Hymne, wie hieß die noch, ich komm gleich drauf, ähm, ach ja: „Somewhere Only We Know“. Die Nummer, die nach 20 Jahren wie Phönix aus der Asche wieder auferstanden ist, mit mehr als einer Milliarde Streams via Spotify, einer Dauerschleife auf TikTok. Das ist also Keane. Hatten die noch andere große Erfolge? Ja, ein paar, allen voran „Everybody’s Changing“, ebenso wie „Somewhere Only We Know“ ein Titel des einstigen Debüt-Albums „Hopes and Fears“. Darüber hinaus haben die Briten, die irgendwo zwischen Coldplay, A-ha und Travis eingeordnet werden könnten, vier weitere Alben produziert, und auch wenn keines den Erfolg ihres Erstlings einstellen konnte, sind doch einige spannende Nummern entstanden.

Hat nur keiner gemerkt. Nun aber haben Keane das  Jubiläum von „Hopes and Fears“ für eine neue Tour genutzt, die sie auch auf den KunstRasen geführt haben – und zeigen dort, dass sie auf der Bühne reifer und besser klingen als je zuvor.

Natürlich liegt der Schwerpunkt an diesem Abend auf den alten Hits des Debütalbums, dafür sorgt schon der Opener „Can’t Stop Now“, den die rund 5300 Fans mühelos mitsingen. Ohnehin erweisen diese sich als überaus textsicher und hilfsbereit, sehr zur Freude von Sänger Tom Chaplin. Der 45-Jährige ist inzwischen ergraut, steht aber überaus selbstsicher auf der Bühne – weder die Unsicherheit der frühen Jahre noch die inzwischen offenbar überwundenen Drogenprobleme sind sichtbar. Er fühlt sich wohl in seiner Haut, an diesem Ort, mit diesen Fans. „Wir hätten viel früher mal nach Bonn kommen sollen“, sagt er bewundernd. Aber besser spät als nie, denkt sich das Publikum und gibt für Keane alles. Das führt zu überaus eindrucksvollen Oh-Oh-Chören bei „You Are Young“ und wohligen Gefühlen bei „Everybody’s Changing“.

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Diese Nummer – so wie auch einige andere – erinnert klanglich tatsächlich ein bisschen an Coldplay; kein Wunder also, dass Chris Martin noch vor der Gründung von Keane den Pianisten und Hauptsongschreiber Tim Rice-Oxley in seine Band holen wollte. Gepasst hätte das. Andererseits hätte es dann Keane nie gegeben, die auf dem KunstRasen auch andere Seiten von sich präsentieren. Bei „Spiralling“ mäandert die Band in Richtung Synthi-Pop, bei „Is It Any Wonder“ eher zum Rock, und „This Is The Last Time“ liegt irgendwo dazwischen, mit deutlichen Einflüssen von A-ha und Travis und einer kontinuierlichen Injektion von Melancholie. In den besten Momenten klingen Keane aber einzigartig, so wie bei „My Shadow“, einer echten Rarität, die zu den Lieblingsliedern Chaplins gehört. Das spürt man.

 

Das Publikum liebt diese Mischung aus Hits und B-Seiten, aus „Perfect Symmetry“ und „Crystal Ball“ und natürlich „Somewhere Only We Know“, mit dem bereits nach 75 Minuten der offizielle Teil des Konzerts endet. Das ist bei vielen britischen und amerikanischen Bands leider inzwischen Usus. Gut, für ein paar Zugaben reicht es noch, inklusive des Rausschmeißers „Bedshaped“. Das muss dann aber reichen. Immerhin: An diesem Abend gehen die Fans mit dem Gefühl nach Hause, nicht etwa ein One- oder Two-Hit-Wonder erlebt zu haben, sondern eine Band, die mehr zu bieten hat. Man muss halt nur hinhören.

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