Korn: Mit voller Wucht

Wenn Korn spielen, herrscht Krieg. Krieg gegen Harmonie und Wohlklang, aber auch gegen die Lebenslügen des Alltags, gegen das Verschweigen von Wahrheiten und gegen die Unterdrückung von Emotionen. Die rohe, ungezähmte Energie der Nu-Metal-Ikonen ist Klang gewordene Wut, ein Ausdruck von Aufbegehren im Stil des Punks, gepaart mit dem Puls des Funk und der Härte des Metal, und zugleich eine anderthalbstündige Katharsis für das Publikum. Kein Wunder, dass Korn Wegbereiter für Bands wie Slipknot oder Limp Bizkit waren, mit ihrer Rotzigkeit, ihrem Zorn und einem gewissen Nihilismus, der sich vor 30 Jahren das erste Mal Bahn brach. Damals erschien das Debütalbum „Korn“. Aufgrund dieses Jubiläums ist das Quintett auf um Frontmann Jonathan Davis auf Tour, hat bei einem von insgesamt nur drei Deutschland-Terminen dem ausverkauften Bonner KunstRasen Station gemacht – und brachte das Gelände in Sachen Lautstärke an seine Grenzen.

In den vergangenen Jahren hatte der KunstRasen immer wieder Ärger mit vereinzelten Anwohnern, die die Veranstalter wegen angeblicher Lärmbelästigung verklagten und zusätzliche Auflagen forderten. Insofern war es ein Wagnis, mit Korn eine Band in die Gronau zu holen, in deren Repertoire das Wort „leise“ schlichtweg nicht vorkommt. Andererseits hat das KunstRasen-Team in diesem Jahr erneut sowohl in Ton- als auch Schallschutztechnik investiert und offenbar eine Kombination gefunden, die allen Ansprüchen genügt. Korn dürfen auf jeden Fall ordentlich aufdrehen, sehr zur Freude der rund 10.000 Fans, die sich zudem darüber freuen, dass der Schwerpunkt des Konzerts nicht auf dem aktuellen Album „Requiem“ (2022) liegt, sondern auf dem Erstling „Korn“, das in all den Jahren nichts von seiner Wucht verloren hat. Das maschinenhafte Drum-Gewitter von Ray Luzier, der dröhnende Basspuls von Reginald Arvizu sowie die brachialen Gitarrenattacken von James Shaffer und Brian Welch brechen wie vom Sturm aufgepeitschte Wellen über der Menge zusammen, die sich dadurch in einen Rausch tanzt, vor allem in einer Circle Pit, die sich unweigerlich in der Nähe der Bühne bildet. Was für manche einfach nur Lärm ist, ist für die Fans ein Ventil. Und das nutzen sie, so lange es geht. Was nicht allzu lang ist, wie sich bald herausstellen wird.

Zunächst aber drehen Korn auf. „Freak On A Leash“, „Coming Undone“ ( verziert mit einem „We Will Rock You“-Zitat) oder auch „Y’all Want A Single“ gehören zu den beliebtesten Stücken, dazu gesellen sich Klassiker wie „Clown“ oder auch „A.D.I.D.A.S.“ (was angeblich ein Akronym für „All Day I Dream About Sex“ sein soll, angesichts von wirtschaftlichen Verstrickungen zwischen der Sportmode-Marke und Korn aber nicht die einzige legitime Lesart sein dürfte). Die Boxen wummern, die Lichter flackern und die Band feuert aus allen Rohren. Mitunter drehen sie auch noch die ein oder andere Extrarunde und lassen Instrumentalpassagen im Kreis laufen, damit Davis mal kurz von der Bühne verschwinden kann, um kurz Luft zu schnappen. Die Pausen braucht er offenbar, auch wenn ein paar Diskrepanzen zwischen Lippen und Tönen Zweifel aufkommen lassen, welche banalen Verse der 53-Jährige tatsächlich ins Mikrofon schreit. „Y'all want a single, say fuck that // Fuck that, fuck that“ zum Beispiel oder „Since I was young // I tasted sorrow on my tongue // And the sweet sugar gun // Does not protect me.“ Sofern das Publikum dies bemerkt, stört es sich nicht daran, ebenso wenig an dem abrupten Ende nach gerade einmal 65 Minuten, die leider bei immer mehr Bands (vor allem aus dem amerikanischen Raum) zur neuen Normalität gehören. Immerhin lassen sich Korn noch zu ein paar Zugaben überreden, bei denen Davis auch seinen berühmten Dudelsack ins Spiel bringt. Nach anderthalb Stunden ist dann aber endgültig Schluss, spätestens jetzt sollten alle negativen Emotionen atomisiert worden sein. Die Katharsis ist beendet. Jetzt kommt der Alltag zurück.

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