„Der geschlossene Himmel“: Der Alptraum der Realität

Zwei Jahre währt der Krieg in der Ukraine inzwischen, zwei Jahre voller Terror und Leid, verursacht durch einen Angriff Russlands, der mehr auf Zerstörung denn auf Eroberung ausgerichtet scheint. Schon droht die Unterstützung der Öffentlichkeit für millionenschwere Hilfspakete zunehmend zu schwinden – da kommt das Theaterstück „Der geschlossene Himmel“ von Neda Nezhdana gerade recht, in dem die Schrecken eines sterbenden Landes an vier Einzelschicksalen erlebbar gemacht werden. Jetzt hat Regisseurin Maryna Liushyna es in einer eindringlichen Inszenierung auf Ukrainisch mit deutschen Untertiteln auf die Bühne der Brotfabrik gebracht.

Viel braucht es nicht, um das Publikum zu berühren, nur vier traumatisierte Frauen in einem dunklen Raum, die von den Gräueln in einer bombardierten Stadt berichten, in der Fenster und Licht zu einer Gefahr geworden sind und das Stampfen eines kleinen Jungens in der Wohnung über der eigenen ein Zeichen von Hoffnung, bis es irgendwann verstummt. Sie erzählen davon, wie sie Nahrung und Wasser suchen und oft nur Leichen finden; wie sie mit den Kindern zu spielen versuchen, um sie nicht an die Verzweiflung zu verlieren, die den Ukrainerinnen und Ukrainern wie eine Seuche die Hoffnung und den Lebenswillen entzieht; wie sie Angst vor dem Einschlafen haben, weil dann die Alpträume kommen, und wie sie Angst vor dem Aufwachen haben, weil die Realität noch viel schlimmer ist.

 

Olga Malyshko Demydova, Anna Konovalova, Olena Stets und Maryna Liushyna spielen diese Rollen mit ungeheurer Kraft – sie alle haben schließlich ähnliche Erfahrungen gemacht, wenn auch vielleicht nicht in dieser geballten Extremität wie im Stück (die leider für viel zu viele Frauen, Männer und Kinder Realität war und ist). Und so ist denn auch die Wut verständlich, die sich in ihnen rührt, die Wut auf Russland natürlich, dessen Truppen wie marodierende „Orks“ durch die Dörfer und Städte ziehen und dessen Raketen Feuer vom Himmel regnen lassen, aber auch die Wut auf die eigene Regierung, die nicht frühzeitig genug zur Evakuierung aufrief, und auch die Wut auf den Westen, der zwar jenen hilft, die der Hölle entkommen sind, nicht aber denen, die noch in dieser leben. Allerdings relativiert Autorin Nezhdana diese Vorwürfe ein wenig, indem sie die Geschichtslehrerin Lida als Stimme der Vernunft etabliert. „Was habt ihr denn getan, als Krieg in anderen Ländern war oder auch nur bei uns im Osten“, fragt sie und verweist auf die Eroberung der Krim. Gespendet, demonstriert, Nachrichten geteilt, mehr aber nicht, gestehen die drei anderen Frauen ein. Zu wenig. Rückblickend ist man immer schlauer.

Zwei Stunden lang berichten die vier Frauen vom Krieg. Harter Tobak, vor allem für den ukrainischen Teil des Publikums. Es gibt durchaus einige, die während der Vorstellung den Saal verlassen, weil das Kopfkino und die großformatigen, auf eine Leinwand projizierten Fotos einfach zu tief graben und Erinnerungen freilegen, die mancher lieber begraben hätte lassen wollen. Dies gilt auch für die Charaktere im Stück, und doch stellen sie sich in einem schmerzhaften, kathartischen Prozess der Vergangenheit. Dabei wird auch klar, was mit dem „geschlossenen Himmel“ gemeint ist, der immer wieder als Schlagwort auftaucht: Auf der einen Seite ist es der Wunsch nach einem realen Himmel ohne Raketen und Bomben, einem Himmel frei von Angst; auf der anderen Seite ist es ein Ausdruck von spiritueller Enttäuschung. „Ich glaube nicht, dass es im Himmel noch jemanden gibt“, sagt eine der Frauen, die später gesteht, dass sie längst mit dem Beten aufgehört habe. Selbst die Religion bietet in diesem Fall keine Hoffnung mehr. Der Westen ebenfalls nicht, was eigentlich eine Schande ist. Dies macht „Der geschlossene Himmel“ deutlich, dieses intensive Stück Theater, das aufrütteln kann. Es müsste nur viel häufiger zu sehen sein.

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