WDR Kabarettfest: Einheitssongs und Schicksalslieder

Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen lassen viele Menschen ratlos zurück. Hat denn niemand etwas dazugelernt in den vergangenen 80 Jahren? Warum haben die Rechten wieder Aufwind – und warum vor allem im Osten? Angesichts dieser Fragen und des nahenden Tags der Deutschen Einheit war schon im Vorfeld klar, dass sich die neueste Ausgabe des WDR Kabarettfests im ausverkauften Pantheon zumindest partiell mit dem politisch geteilten Deutschland auseinandersetzen würde. Sowohl Nils Heinrich als auch Jürgen Becker und Moderator Tobias Mann suchen auf ihre Weise nach Antworten, der eine in der Gegenwart, der andere in der Vergangenheit und der dritte in der Zukunft. Nur das Liedermacher-Trio Frau Rotkohl setzt lieber auf gehobenen Blödsinn – was in manchen Momenten dringend notwendig ist.

Eine große Schwäche der demokratischen Parteien ist, da sind sich Tobias Mann und Nils Heinrich einig, ihr miserabler Umgang mit den sozialen Medien, vor allem bei der Ansprache von Jugendlichen. Während sich die AfD fröhlich auf TikTok tummelt und die Kunst, ihre Inhalte auf 60 Sekunden aufzubauschen, längst perfektioniert hat, versuchen die anderen politischen Kräfte immer noch verzweifelt, der Generation Z ihre Botschaften per Fax zu schicken. Dabei ist die Jugend nicht unpolitisch, man muss sie halt nur auf die richtige Weise erreichen. Das schließt eine passende Sprache ein, frei von vermeintlich hippem Slang – Heinrich kann davon ein Liedchen singen. Immerhin versucht er als Radio-Moderator, ein Interview mit einem 19-Jährigen Mädchen aus Ostdeutschland zu führen, was gründlich in die Hose geht. Leider auch abseits der inhaltlichen Ebene. Heinrichs Versuch, der jungen Dame eine Stimme zu geben, ist leider viel zu gekünstelt und bemüht; ihre Dialog-Beiträge würden noch nicht einmal unter dem Label der Satire funktionieren, im Gegensatz zu den späteren Anklagen gegen deine Mutter (das Possessivpronomen ist entscheidend) mit 80 Gigabyte Datenvolumen und einem großen Mitteilungs- und Anbiederungszwang. Aber das nur so am Rande.

Doch was ist der Grund dafür, dass der Osten zunehmend abgehängt wirkt und sich Populisten und Extremisten zuwendet? Eine verfehlte Politik nach der Wiedervereinigung. Sicherlich. „Die Ostdeutschen wurden oft wie unmündige Kinder behandelt, statt ihre guten Ideen aufzugreifen wie etwa das polytechnische Bildungssystem oder das Flaschenpfand“, so sieht es zumindest Jürgen Becker, der aber noch einen anderen Aspekt berücksichtigt sehen will: Die Musik. „Die deutsche Wiedervereinigung hatte keinen vernünftigen Soundtrack“, betont er. Was wurde denn damals, 1989 in Berlin, von Ossis und Wessis gemeinsam gesungen? „Griechischer Wein“. Oder „Looking for Freedom“. Kein Wunder, dass die Beziehung von Anfang an marode war.

Die live gespielten Songs an diesem Abend war nicht viel besser, das allerdings bewusst. Das Chaoten-Trio Frau Rotkohl, das von sich selbst sagt, dass musikalisch vor allem die Texte relevant seien, schimpft unter anderem auf das Schicksal und schrammelt sich durch Limericks, hängt die Messlatte absichtlich tief und freut sich wie Bolle über jeden erfolgreichen Sprung aus den Niederungen des (gespielten) Dilettantismus. Der gelingt auch Tobias Mann, der erstmals einen Titel aus seinem neuen Programm „Real/Fake“ auf der Bühne präsentiert, den Refrain genüsslich zusammen mit dem Publikum knödelt und sich von der Begeisterung im Saal anstecken lässt. Das löst zwar das Problem mit der AfD nicht, sorgt aber für einen langen und zugleich entspannten Abend. Ist auch schon was wert.

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