Pretenders: Rock-Ikone auf Distanz

Die Gitarren jaulen, das Schlagzeug stampft und der Bass pulsiert, darüber eine fantastische Alt-Stimme voller Energie und Leidenschaft: Die Musik der Pretenders, die seit viereinhalb Jahrzehnten Punk, Bluesrock und den frühen Formen des Grunge vermischt, wirkt heutzutage immer noch genauso stark wie auf dem 1980 erschienenen, mit dem Bandnamen betitelten Debütalbum, mit dem die Formation um Sängerin Chrissie Hynde auf einen Schlag internationale Berühmtheit erlangten. In der gut gefüllten und dementsprechend stickigen Live Music Hall sorgt die Band denn auch für Begeisterung, nicht zuletzt dank des brillanten Gitarristen James Walbourne – und dank Hynde, der ewigen Rockerin, die eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass gute Musik jung hält.

Für Hynde ist die aktuelle Tour in gewisser Weise eine Art Zeitreise. Ganz bewusst hat sie kleinere Clubs und Hallen für die Pretenders-Konzerte gewählt, um noch einmal zu spüren, wie es sich damals angefühlt hat, als sie gerade erst in den Rang einer Ikone aufstieg. Ob das funktioniert hat? Das weiß nur Hynde. Aus Publikumssicht gibt es auf jeden Fall keinen Grund zu klagen. Hynde, immerhin inzwischen 73, wirkt auf der Bühne sicherlich zwanzig Jahre jünger, mit einer Präsenz, die fast ein wenig an die „Godmother of Punk“ Patti Smith erinnert. Ihre Stimme spielt in einer ganz eigenen Liga, ist rau, dunkel, kantig, gleichzeitig aber auf dem Punkt und mit unbändiger Kraft ausgestattet. Dazu hat sie eine junge Band um sich geschart, die durchaus präzise und knackig spielt, manchmal aber ruhig ein bisschen mehr Druck machen könnte. Andererseits setzt insbesondere Walbourne, mit dem Hynde immerhin die letzten beiden Pretenders-Alben geschrieben hat, mit virtuosen Soli ein ums andere Mal Akzente und wertet jeden einzelnen Song damit auf.

Erstaunlicherweise haben die Pretenders nur ein paar Songs ihrer aktuellen Platte „Relentless“ auf die Setliste gesetzt, darunter die herrlich melancholische Ballade „I Think About You Daily“, die irgendwann in einer Rock-Explosion ausbricht wie ein flammender Vulkan. Herrlich. Dennoch liegt der Schwerpunkt eher auf dem Vorgänger „Hate For Sale“, mit dem intensiven „You Can’t Hurt A Fool“ oder auch mit „The Buzz“, das Hynde them Punk-Gitarristen Johnny Thunders gewidmet hat. Dazu kommen natürlich auch die Klassiker wie der Ohrwurm „Don’t Get Me Wrong“, „Back On The Chain Gang“ oder „Middle Of The Road“, die bis heute immer wieder durchs Radio geistern, oder auch Schätze wie die Country-Blues-Nummer „Thumbelina“, bei der einmal mehr Walbourne glänzen kann.

Eigentlich enthält das Konzert also alles, was das Fan-Herz begehrt. Nur etwas Wärme fehlt, etwas Nähe. Hynde wendet sich so gut wie gar nicht dem Publikum zu und spielt stur einen Song nach dem nächsten. Dabei hätte es durchaus Gelegenheiten gegeben, bei denen ein paar Worte durchaus angebracht gewesen wären, zum Beispiel bei dem meisterhaft präsentierten „Private Life“ vom besagten Debütalbum, einem Song aus jener Zeit, bevor die Drogen die erste Inkarnation der Pretenders zerstörte. Aber vielleicht will Hynde auch nicht von der Vergangenheit sprechen und lieber in die Zukunft sehen. Die Energie dafür scheint sie auf jeden Fall noch zu haben.

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