So richtig hat eigentlich niemand an Tracy Turnblad geglaubt, noch nicht einmal sie selber. Sie, das pummelige Mädchen mit der hohen Frisur, die Außenseiterin in der Schule und in der Gesellschaft, als Tänzerin des so genannten Komitees im Fernsehen und damit als Vorbild einer ganzen Generation von Teenagern, die ansonsten nur auf das Äußere schauen und jeden an Modelmaßen messen? Kann doch nicht klappen. In „Hairspray“ aber schon. Immerhin greift das Musical (2002), das sich basierend auf dem gleichnamigen Film von 1988 mit Body-Shaming, Mobbing und Rassismus auseinandersetzt, genüsslich sämtliche Broadway-Klischees auf, überhöht und karikiert sie. Jetzt hat das Theater Bonn den Stoff im Opernhaus auf die Bühne gebracht und die Grenzen zwischen der bonbonfarbenen und der schwarz-weißen Realität zerschlagen. Ein Thema, dass erschreckend aktuell ist – und das doch für viel Spaß sorgt.
Im Mittelpunkt von „Hairspray“ steht die pummelige Tracy (starke Stimme, starke Präsenz: Antonia Tröstl), die davon träumt, in einer Fernseh-Tanzshow aufzutreten und ihrem Schwarm, dem
Schnulzensänger Link, nahe sein zu können. Als in dem so genannten „Komitee“ eine Position frei wird, bewirbt sie sich – und gewinnt dank ihrer authentischen Art und einigen wilden Schritten, die
sie sich beim Nachsitzen von einem Afroamerikaner hat beibringen lassen. Nun revanchiert sie sich und setzt sich sich dafür ein, die Rassentrennung im Fernsehen aufzuheben. Was natürlich so
einige Probleme mit sich bringt, nicht zuletzt durch die Intrigen von Wannabe-Miss-Hairspray Amber (Kara Kemeny), der die immer mutigere und selbstbewusster werdende Tracy einen der schönsten
Sätze des Stücks entgegenschmettert: "Amber, du hast Pickel auf der Seele." Sie selbst hat dagegen ein Herz aus Gold und kann dank guter Freunde am Ende alles überstehen – und dank eines
Elternpaares, das alle anderen Figuren mühelos an die Wand spielt.
Regisseur Erik Petersen lässt das Ensemble die Übertreibungen innerhalb der Rollenbeschreibungen so weit wie möglich ausdehnen und vertraut darauf, dass die Mischung aus Stereotypen und einer in
der heutigen Zeit leider erneut aktuellen Gesellschaftskritik beim Publikum einen Nerv treffen, ohne als moralinsauer wahrgenommen zu werden. Diese Hoffnung zieht sich auch durch die Liedtexte,
die in der deutschen Übersetzung mitunter allerdings peinlicher wirken als nötig. Musikalisch sind die Nummern derweil glattgebügelt, verfügen aber unbestreitbar über einen Ohrwurm-Charakter. Das
Ensemble nutzt dies geschickt aus und begeistert mit starken Stimmen – neben Antonia Tröstl ist dabei unter anderem Friederike Zeidler als leicht verpeilte Penny Pingleton zu nennen, die in der
zweiten Hälfte der Show dank ihrer aufblühenden Liebe zu dem jungen Afroamerikaner Seaweed Stubbs (Maickel Leijenhorst) fast noch wichtiger wird als Hauptprotagonistin Tracy. Fin Holzwart bleibt
derweil als Link Larkin ein bisschen zu statisch, zumal seine Figur die mit Abstand größte Wandlung durchläuft. Auch Yannick-Muriel Noah, eine von nur insgesamt zwei am Haus festangestellten
Darstellerinnen, könnte aus ihrer Rolle als Plattenladen-Besitzerin und Aktivistin Motormouth Maybelle mehr machen, während Kerstin Ibald als biestige Produzentin Velma Van Tussle, die für die
Karriere ihrer Tochter Amber über Leichen gehen würde, eine hervorragende Antagonistin für die aufkommende Gleichberechtigungsbewegung darstellt. Den mit Abstand größten Eindruck machen aber
Enrico De Pieri und Mark Weigel als Tracys Eltern Edna und Wilbur – ersterer begeistert vor allem durch seine lapidar gesetzten Pointen und die wunderbare Balance zwischen feiner Travestie und
warmherziger Mutterrolle. Wer Ednas Tochter etwas antun möchte, muss sich warm anziehen („Tracy, sei ein Schatz und halt mal eben Mamas Fritten“). Das gemeinsame Duett der beiden gehört auf jeden
Fall zum Höhepunkt einer bunten, kitschigen aber trotzdem wertvollen Produktion, die man sich unbedingt mal anschauen sollte.
Termine: 27.10., 1.11., 3.11. und 21.4., jeweils 18 Uhr, sowie 9.11., 29.11., 23.12., 27.12., 5.1., 8.1., 9.1., 1.2., 6.2., 12.2., 29.3., 3.4., jeweils 19.30 Uhr. Karten erhalten sie an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie unter www.theater-bonn.de.
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