
Eigentlich ist Max Mutzke ja eine Frohnatur. Der charismatische Soul-Sänger gibt auf der Bühne oft den Optimisten und Mutmacher, einen, der die Welt umarmen möchte, damit es ihr wieder besser geht. Diese Haltung vertritt er auch in seiner Autobiographie „So viel mehr“, zeigt sich zufrieden mit seinem Leben und dankbar für viele schöne Erfahrungen – doch gleichzeitig verarbeitet er persönliche, familiäre Tragödien, die ihn bis heute beschäftigen und mitnehmen. Bei einer Lesung in der Volksbühne am Rudolfplatz konnte der 43-Jährige mehr als einmal die Tränen nicht zurückhalten, während er von seiner Mutter und seinem Adoptivbruder Steffes erzählt, die beide viel zu früh aus dem Leben geschieden sind und deren Geschichten einen Kontrast zu den sonstigen Erlebnissen des jungen Max in der Abgeschiedenheit des Schwarzwalds bilden. Es ist ein Abend voller Anekdoten und bewegender Erinnerungen, emotional, herrlich komisch und natürlich voller Musik, kurzum eine Lesung mit Herz und Klang, wie sie ehrlicher kaum sein konnte. Und die Lust auf mehr machte.
Eine der prägenden Figuren in Mutzkes Kindheit war Opa Bernhard: Ein Bär von einem Mann mit breiter Brust und Rauschebart, der gerne Tatsachen schaffte, ob nun in Konflikten oder bei Fragen neugieriger Buben. Durch ihn lernte der junge Max, wie man einen Baum fällt, dass ein Verkehrsunfall mit Honig im Gepäck leicht ins Auge gehen kann und dass eine Straße sehr wohl abbrennen kann, wenn man nur genug Benzin nimmt. Auch das Fahren lernte er vom Opa, stilecht auf einem Unimog – als die Polizei ihn schließlich beim Fahren ohne Führerschein erwischte und ihn zu Sozialstunden beim Technischen Hilfswerk verdonnerte, hatte er schon drei Jahre Fahrerfahrung. Zu diesem Zeitpunkt war Max 14 Jahre alt.
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Opa Bernhard war für Mutzke in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild, ein Urgestein mit Heldennimbus, deftigen Humor und ungeheurer Lebensfreude. Die beiden letztgenannten Eigenschaften hat er auch an seine Tochter weitergegeben. Diese sollte eigentlich im Zentrum des Buches stehen, sie und ihre Alkoholabhängigkeit, die vor allem in späteren Jahren die Familie ziemlich belastete. „Die Kinder von Suchtkranken werden oft vergessen“, sagt Mutzke dazu. Doch sein Plan ging nicht auf, da seine Geschwister protestierten. „Wenn du deine Geschichte erzählst, erzählst du auch unsere“, sollen sie ihm gesagt haben. Und so entstand ein Kompromiss, ein Buch voller autobiographischer Anekdoten und warmherziger Rückblicke, in dem der Ton aber auch mal etwas ernster werden kann. Mutzke zeichnet zwar ein positives Bild seiner Mutter, ist stolz auf sie, auf ihren Witz und auf ihre Leidenschaft für das Theater, doch er verschweigt auch nicht, dass er sie mitunter monatelang nicht gesehen hat, weil er nicht enttäuscht werden wollte.
Derartige Geständnisse auf offener Bühne nehmen Mutzke sichtlich mit, so auch beim Lesen jener Passagen, in dem es um seinen Adoptivbruder geht, der von Geburt an an Diabetes und dem
Noonan-Syndrom litt, das in den meisten Fällen Kleinwuchs, schwere Herzfehler und ein seltsames Äußeres mit sich bringt. Steffes’ leibliche Eltern warfen ihn nach dem ersten schweren Unterzucker
kurzerhand in den Mülleimer. Gerettet und in ein Pflegeheim gebracht, traf das Kind auf die einzige Schwester von Mutzkes Mutter, die ihn zu Weihnachten kurzerhand mit nach Hause nahm, wo er von
da an immer herzlich willkommen war. Auch diese Geschichte kann Mutzke teilweise nur mit brüchiger Stimme vorlesen, vor allem den Anfang – und das Ende. Denn Steffes verstarb ausgerechnet bei
einer Operation, die ihn eigentlich für den Rest seines Lebens von der Diabetes befreien sollte.
Es sind diese Momente, in denen es still ist im Saal, zumindest so lange, bis irgendjemand Worte des Trostes in Richtung Bühne schickt oder einfach zu klatschen beginnt, weil Max Mutzke trotz der
Tränen weder aufhören will noch kann. Sein Publikum versucht ihm auf diese Weise ein Gefühl der Geborgenheit zu geben. Diese Botschaft kommt an. Und so kann Mutzke sich immer wieder aufraffen und
weitererzählen, gerne dann wieder mit lustigen Begebenheiten: Wie er als Teenager halbnackt unter das Bett seiner Ex-Frau Nazu flüchtete (inzwischen ist er Gerüchten zufolge mit Carolin Kebekus
zusammen), weil deren Vater unerwartet nach Hause kam oder wie sein Opa die Garagentür mit Schwarzpulver sprengte und nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Auch Publikumsfragen lässt er zu, nur
eingeschränkt wegen der strikten Sperrstunde, die ein Nachbar der Volksbühne durchgedrückt haben soll. Und natürlich singt Mutzke immer wieder, wobei Lieder wie „Hier bin ich Sohn“ durch die
Lesung auf einmal viel persönlicher sind und authentischer. Für diesen bewegenden Abend möchte man ihn einfach nur in den Arm nehmen.
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