
Seit jeher ist das Crossroads-Festival des WDR Rockpalasts, das zweimal im Jahr in der Harmonie aufgezeichnet wird, ein Format zum Entdecken. Zwar sind im Laufe der Zeit auch einige berühmte Künstlerinnen und Künstler nach Endenich gekommen, die Mehrheit war aber nur Eingeweihten bekannt und hoffte durch den TV-Auftritt auf einen Popularitätsschub. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn Peter Flore, der neue Chef der Musiksendung, Crossroads weiterentwickeln, verjüngen und vor allem für andere Genres öffnen will. Gerade läuft in der Harmonie die erste Staffel unter seiner Regie, und schon der erste Abend zeigt, wie spannend die Neuausrichtung sein kann. Auch wenn sie vielleicht nicht jedem gefällt.
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Den Auftakt macht Singer-Songwriter Matze Rossi, der es trotz seiner kratzigen Stimme und dem ein oder anderen wütend rockenden Stück früher wahrscheinlich schwer gehabt hätte, in die Sendung eingeladen zu werden. Falsches Genre, falsche Stimmung. Immerhin ist Rossi ein wandelndes Paradoxon, ein lebensbejahender Melancholiker, ein Liedermacher-Punk, ein gesellschaftskritischer Romantiker. Er sieht die Probleme einer herzlosen Welt, in der Retter eingesperrt und Urwälder abgebrannt werden („Milliarden“) – und doch will er nicht den Glauben an die Menschheit verlieren, verweigert sich der Kapitulation, der Kinder wegen und weil sich ein Matze Rossi nicht aufhalten lässt. Also singt er weiter, zwischen Polit-Parolen und Liebesliedern, ungeschliffen im Gesang und facettenreich in seinen Texten. Eine Nummer singt er für seine Frau („Askaban“), eine andere über sie („Glücklichste Mensch“), dazu kommen ein paar positive Stücke über den Tod und am Schluss „Best Friends“ mitten im Publikum, das den charismatischen 48-Jährigen zunehmend lieb gewonnen hat und – leider vergeblich – um eine Zugabe bittet. Was bei Crossroads alles andere als selbstverständlich ist.
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Auch Jesper Munk wird mitunter als Singer-Songwriter bezeichnet, was allerdings eher ein Zeichen für die Hilflosigkeit ist, seine Musik irgendwo einzuordnen. Mit 21 gilt er als Blues-Wunderkind, mit 26 als Indiepop-Soul-Sänger, ein Jahr später wandelt er zwischen Noise-Punk, Industrial und Wave. Und jetzt? Könnte man ihn als experimentierfreudigen Geist bezeichnen, der das Spiel mit den Effektgeräten liebt und so zusammen mit seiner Band „The Cassette Heads“ eine Art Psychedelic Pop kreiert, dessen Vintage-Sounds aber auch mal in Richtung Noise gehen und die vor allem vom vielschichtigen Keyboard-Spiel Trim Granbackas definiert werden. Nicht ohne Grund hat sich Munk im Interview mit dem Magazin Gitarre & Bass zuletzt als „Klischee-Zwilling“ bezeichnet, der den Kontrast liebt. Über diesen langflorigen Klangteppich legt er seinen Gesang, der manchmal so nasal erscheint wie Jan Delay auf Morphium, aber auch an Prince erinnert. Es ist eine Art von depressivem Crooning, fast schon jammernd, aber auch hypnotisch. Besonders auffällig wird dies bei Luke Kellys Antikriegslied „Salford Town“: Munk versucht sich ebenso wie der Dubliners-Frontmann an einer a-cappella-Version, trifft allerdings nicht alle Töne – und sorgt dennoch für einen besonders intensiven Moment.
Noch bis Samstag wird in der Harmonie aufgezeichnet. Am heutigen Donnerstag treffen die Indie-Pop-Wegbereiter Die Sterne auf die queere Deutsch-Iranerin Mina Richman; am Freitag stehen die Indie-Pop-Singer-Songwriterin Philine Sonny und die für jede Party geeigneten Freigeister von Botticelli Baby; und am Samstag wird es mit dem Krautwave von Kratzen sowie dem Nylonpunk von Acht Eimer Hühnerherzen (mit Abstand die Band mit dem ungewöhnlichsten Namen in 22 Jahren Crossroads) überaus eigenwillig.
Sendetermine
Sendetermine
Matze Rossi / Jesper Munk / Mina Richman | 29. April 2025, 01.10 - 04.10 Uhr | 3sat
Die Sterne / Botticelli Baby / Philine Sonny | 13. Mai 2025, 02.05 - 05.40 Uhr | 3sat
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 20. Mai 2025, 02.10 - 04.20 Uhr | 3sat
Jesper Munk / Matze Rossi | 2. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Die Sterne / Mina Richman | 9. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Philine Sonny / Botticelli Baby | 16. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 23. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
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