
Der zweite Abend des aktuellen Crossroads-Festivals in der Harmonie ist fest in der Hand von Indie-Bands mit Haltung. Bands, die sich nicht anpassen wollen. Die nicht kuschen, sich nicht anbiedern. Und die trotzdem weit voneinander entfernt sind. Auf der einen Seite die junge, aufstrebende queere Musikerin Mina Richman, die mit einer Wahnsinns-Soul-Rockstimme, einem wuchtigen Sound und viel Leidenschaft wahrscheinlich jede Menge euphorisieren kann, auf der anderen die Sterne, ihres Zeichens Veteranen der so genannten Hamburger Schule und Pfleger eines ganz eigenwilligen Sounds, der manchmal altbacken und eintönig klingt und dann doch wieder mehr Facetten aufweist, als man zunächst gedacht hätte. Eine interessante Mischung, so wie man sie bei Crossroads häufig geboten bekommt, die aber letztlich auf eines hinausläuft: In der ersten Hälfte des Abends kann man Fan werden. In der zweiten höchstens Fan bleiben.
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Dabei steht außer Frage, dass Die Sterne alles andere als belanglos sind. Zumindest textlich. Gut, es gibt Ausnahmen wie das sich in banalen Wiederholungen suhlende „Aber andererseits“, doch die meisten Songs der Band sind so gesellschaftskritisch, wie man das von der Hamburger Schule gewohnt ist. Das gilt für brandneue Stücke wie „Ich nehme das Amt nicht an“, aber auch für „Was hat Dich bloß so ruiniert“ oder das punkige „Fickt das System“. Leider treten Die Sterne aber vor allem in der ersten Hälfte ihres Sets musikalisch zu sehr auf der Stelle. Sänger Frank Spilker wirkt trotz mancher Animationsversuche eher bemüht denn begeistert, gleiches gilt für Keyboarderin Dyan Valdés. „Hallo Euphoria“ wird seinem Namen nicht gerecht, „Big in Berlin“ klingt fast so verschlafen wie „Gleich hinter Krefeld“ – da werden selbst einige langjährige Fans enttäuscht. Erst mit „Trrrmmer“ drehen Die Sterne weiter auf, laden den Rock ein und den Punk, verzerren die Gitarren und geben ihren Botschaften den Druck, den sie von Anfang an verdient hätten.
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Im direkten Vergleich gewinnt allerdings Mina Richman um Längen. Die Deutsch-Iranerin mit der phänomenalen Soulstimme hat gerade erst den pop-NRW Preis in der Kategorie „Outstanding Artist“ erhalten und zeigt in der Harmonie auf eindrucksvolle Weise, wie zeitgenössische Protestmusik geht: Groovend, rockend und bei Bedarf auch nur mit der Ukulele. Die holt Richman für das Lied „Baba Said“ hervor, mit dem sie auf den gewaltsamen Tod der 22-jährigen Jina Amini 2022 im Iran reagiert und das sie so lange spielen will, bis das Regime in Teheran gestürzt ist. Was noch etwas dauern kann. „Ich werde wohl nie wieder in dieses Land zurückkehren, ohne dabei mein Leben zu riskieren“, sagt sie, während sie sich nach dem Duft von Orangenbäumen und Benzin sehnt, der ihr im iranischen Frühjahr immer um die Nase wehte.
Ohnehin bilden die persönlichen Erfahrungen die Grundlage vieler Songs: Die beginnende Altersproblematik (Mina Richman ist immerhin 27 geworden – mit 16 hätte sie wegen einer Depression nicht gedacht, dass sie so lange durchhält, erzählt sie), die Herzschmerz-Situationen (es müssen auch nicht die eigenen sein) oder die ADHS-Diagnose finden Eingang in Richmans wachsendes Œuvre. Musikalisch bleiben sie und ihre Bandmitglieder Friedrich Schnorr von Carolsfeld (Gitarre), Alexander Mau (Bass) und Leon Brames (Drums) trotz mancher nachdenklichen Themen weitestgehend im Gute-Laune-Pop verhaftet, machen das aber so gut, dass das Publikum nicht genug bekommen kann. Vor allem „Work“ erweist sich als wunderbar tanzbar und dürfte den Weg auf so manche Playlist finden. Nur schade, dass Richman und Co vom WDR nur eine Dreiviertelstunde zugestanden wurde – in der Harmonie hätte man sie gerne noch etwas länger gefeiert.
Sendetermine
Sendetermine
Matze Rossi / Jesper Munk / Mina Richman | 29. April 2025, 01.10 - 04.10 Uhr | 3sat
Die Sterne / Botticelli Baby / Philine Sonny | 13. Mai 2025, 02.05 - 05.40 Uhr | 3sat
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 20. Mai 2025, 02.10 - 04.20 Uhr | 3sat
Jesper Munk / Matze Rossi | 2. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Die Sterne / Mina Richman | 9. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Philine Sonny / Botticelli Baby | 16. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 23. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
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