Crossroads: Himmelhochjauchzend und zu Tode enttäuscht

Ein Doppelkonzert mit zwei sich ergänzenden Bands ist beim Crossroads-Festival des WDR Rockpalasts üblich, doch mitunter setzen die Veranstalter auch auf Kontraste. So ausgeprägt wie bei der ersten 2025er-Ausgabe waren die Unterschiede allerdings noch nie spürbar. So ungewollt erst recht nicht. Denn während Botticelli Baby mit ihrer wilden Mischung aus Punk, Jazz, Swing und Balkan-Brass alles richtig machten, perfekt aufeinander abgestimmt sind und jeden Ton treffen, erweist sich der Auftritt von Philine Sonny als absolutes Desaster. Die junge Musikerin und ihre Bandkollegen sind schlichtweg überfordert – und ziehen das Leid noch nur in die Länge.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



Angesichts der katastrophalen Leistung ist kaum nachzuvollziehen, warum Sonny und Co derart mit Vorschusslorbeeren überschüttet worden sind. Die 23-Jährige hat schon auf allerhand namhaften Festivals im deutschsprachigen Raum gespielt und – ebenso wie Mina Rochman – den PopNRW-Preis in der Kategorie „Outstanding Artist“ erhalten, und angesichts der perfekt produzierten Songs, die sie über Instagram und andere Kanäle bislang in die Welt entlassen hat, klingt all das zunächst einmal vielversprechend. Doch all dem wird sie zumindest an diesem für sie so wichtigen Abend nicht einmal annähernd gerecht: Die Intonation ist schief, der Gesang brüchig, die Band nicht zusammen und ohne jegliches Gespür für einen Gesamtklang oder gar so etwas wie Dynamik. Da sind sogar manche Schülerbands besser. Ein absoluter Tiefpunkt ist das Lied „Shame“, bei dem Bassist Denis Stadermann mit Vibrato-Effekten spielt, das allerdings mit einer Penetranz, das sich ein Teil des Publikums nur mit schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zuhalten muss. Es fehlt schlichtweg am Gespür für Balance und Arrangements beziehungsweise an der Erkenntnis, dass Musik live nun einmal völlig anders klingt als im Studio.

 

Das Potenzial wäre sogar vorhanden, denn textlich und vielfach auch melodisch hat Philine Sonny einiges zu bieten. Allerdings muss sie dringend an ihren Live-Qualitäten arbeiten, die gerade für einen Auftritt wie beim Rockpalast auf einem gewissen Niveau sein müssen. Nur noch peinlich sind zudem Ideen wie das halbgare Gitarren-Solo am Ende von „Berlin“. Und dann diese Moderationen, in denen sich Sonny um Kopf und Kragen redet, immer wieder das Alter ihres Publikums zum Thema macht (obwohl erstaunlich viele junge Leute in die Harmonie gekommen sind) oder ihren Vater vorführt (nicht in jedem Medium lassen sich im Nachhinein Aussagen herausschneiden). So zerstört sie ein ums andere Mal jegliche Spannung im Raum.

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Nach diesem Auftritt wird dringend ein Gegengewicht benötigt, irgendeine wilde, kraftvolle und zugleich professionelle Musik, die für die Unzulänglichkeiten der ersten Hälfte des Abends entschädigt. Und zum Glück können Botticelli Baby liefern. Das Ensemble um Bassist Marlon Bösherz ist ein Partygarant mit 7000 Volt, fetzig, druckvoll, groovend. Wobei letzteres nicht hoch genug geschätzt werden kann angesichts der Vorliebe der Band für schräge Rhythmen. Eine Party in 7/4 und 5/4? Mit Botticelli Baby ist das möglich, insbesondere dank des brillanten, knackigen Spiels von Drummer Tom Hellenthal und dem wilden Treiben von Bösherz, der – ebenso wie den Rest des Saals – innerhalb von Minuten schweißgebadet ist und dadurch gerne mal von den Saiten abrutscht, wie er selbst betont. „Aber ist ja nur fürs Fernsehen“, sagt er lachend bei einer seiner wenigen Wortmeldungen. Und macht weiter wie bisher. Schließlich ist die kreative Reibung zwischen vermeintlich verkopftem Jazz und rohem Punk die Kern-DNA von Botticelli Baby, und das nun seit immerhin zwölf Jahren. „Diese Band ist wie ein gigantischer High-End-Katalysator, der alle Inspirationen in etwas Eigenes transformiert“, so Bösherz. Und in etwas Einzigartiges, von dem man nicht genug bekommen kann. Nun, vielleicht holt die Harmonie die Band aus Essen ja noch einmal alleine nach Bonn. Dann könnte das Septett so richtig aufdrehen. Wäre schön.


Sendetermine

Sendetermine
Matze Rossi / Jesper Munk / Mina Richman | 29. April 2025, 01.10 - 04.10 Uhr | 3sat
Die Sterne / Botticelli Baby / Philine Sonny | 13. Mai 2025, 02.05 - 05.40 Uhr | 3sat
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 20. Mai 2025, 02.10 - 04.20 Uhr | 3sat
Jesper Munk / Matze Rossi | 2. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Die Sterne / Mina Richman | 9. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Philine Sonny / Botticelli Baby | 16. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 23. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen


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Kommentare: 3
  • #1

    Patrick Altenbrand (Sonntag, 23 März 2025 22:45)

    Warum der Auftritt von Philine Sonny ein "absolutes Desaster" gewesen sein soll, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Dass die Moderationen zwischenzeitlich etwas daneben waren und Spannung rausgenommen haben, gehe ich mit. Jazz and Rock schreibt: Mit warmen Gesang, melancholischen Melodien und einer dynamischen Band zieht Philine Sonny das Publikum der Harmonie in ihren Bann. Das trifft es ganz gut.

  • #2

    kultur-kritik (Montag, 24 März 2025)

    1. Ein Mitarbeiter der Harmonie war so sauer über den miserablen Sound, dass er sowohl beim Techniker des WDR als auch beim Haustechniker intervenieren wollte - da die Band aber alles über ihre eigenen Geräte laufen ließ, konnte nicht nachjustiert werden, so dass noch am Tag danach der Ärger groß war (und das bei einem Vollprofi, der schon des Berufs wegen an die Tausend Konzerte erlebt hat). Das heißt aber auch, dass die Band für den Sound selbst verantwortlich war. Vor allem der im Artikel erwähnte Einsatz des Verzerrers bei "Shame" war zumindest in den vorderen Reihen so untragbar, dass sich mehr als einer die Ohren zugehalten hat. So etwas geht gar nicht. In mehr als einhundert Crossroads-Konzerten, die ich selber erlebt habe, war das technisch gesehen der absolute Tiefpunkt.

    2. Der Gesang war leider alles andere als gut. Viele Töne waren unsauber, vor allem am Ende von Phrasen rutschten sie unkontrolliert ab – und das sind objektive Kriterien, keine subjektiven.

    3. Die Band blieb ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Die Dynamik war schlecht, die Wechsel zwischen lauten und leisen Passagen viel zu abrupt. Auch hier zeigten sich die Soundprobleme, weil offenbar jeder Musiker eigenständig an den Reglern drehte, statt auf den Gesamtklang Rücksicht zu nehmen (siehe "Shame"). Geradezu unterirdisch waren schließlich die Soli wie zum Beispiel bei "Berlin", bei denen von Virtuosität nichts zu hören war.

  • #3

    Patrick Altenbrand (Montag, 24 März 2025 14:11)

    Der Sound war nicht wirklich gut an dem Abend, das stimmt. Habe die Band schon einige Male live gesehen. Ohne mich mit technischen Details auszukennen, habe ich es jedoch nicht so negativ wahrgenommen wie dargestellt. Mal sehen wie sich die fertige Aufzeichnung des WDR anhören wird.