Crossroads: Ein trügerischer Name

Auf den letzten Abend des WDR Rockpalast Crossroads-Festivals haben vor allem die Stammgäste schon gewartet. Nicht, weil sie das Ende dieser Ausgabe herbeisehnen, in der es neben vereinzelten Glanzpunkten auch die ein oder andere herbe Enttäuschung gab, sondern weil an diesem Samstag die Band mit dem wahrscheinlich skurrilsten Namen in der Crossroads-Geschichte ihre Aufwartung machen sollte. Was für Musik kann man schon von einem Trio namens Acht Eimer Hühnerherzen erwarten? Irgendetwas Unappetitliches? Irgendetwas Verrücktes? Deutschsprachiger Metalcore vielleicht? Nein: Beschrieben wird sie als halbakustischer Nylon-Punk mit „Powerviolence-Folk, Kakophonie und Bindungsangst.“ Was auch nicht sonderlich erhellend ist. Auf jeden Fall haben sich Einige aus dem Publikum nur wegen des Namens ein Ticket gekauft. Und wurden nicht enttäuscht.

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QUATSCH KEINE OPER präsentiert



Vor den musikalischen Innereien stehen allerdings Kratzen auf der Bühne und spalten mit radikaler Reduktion einmal mehr die Menge. Der konsequente Minimalismus und Monotonismus von Melanie Graf, Thomas Mersch und Stefanie Staub spricht in erster Linie jene an, denen der Rhythmus wichtiger ist als die Melodie, die einen stampfenden und stetigen, Trance-artigen Grundbeat als beruhigend empfinden und den Mangel an Harmonik als verzeihbar. Aber gut, die Farbflächen von Mark Rothko gelten ja auch als (überaus hoch gehandelte) Kunst. Kratzen selbst sprechen von ihrer Musik übrigens als Krautwave, mit Anklängen von Industrial und Kraftwerk, hineingepresst in eine Art Einheitsbrei in Dauerschleife. Variationen sind Mangelware, Stoizismus ist angesagt. Immerhin: Inhaltlich sind Kratzen nicht banal, singen über Obdachlosenheime und Ertrinkende im Mittelmeer, zeigen Haltung, wenn auch oft – der Form wegen – eher in poetischen Plattitüden als in emotionalen Elegien. Und manchmal, ganz selten, eigentlich so gut wie nie, bricht doch eine Überraschung die Gleichförmigkeit auf, ein urplötzlich erklingender Akkord inmitten des Hamsterrads, und schon sind 45 Minuten rum. Irgendwann reicht es eben.

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Und jetzt? Kommen Nieren. Nein, Lebern. Ach was, Hühnerherzen. Acht Eimer voll, eine ziemliche Sauerei. Könnte eklig werden. Doch die Aussage bleibt im Konjunktiv, stattdessen wird es wild. Und laut. Und akustisch. Von ihrer Machart her könnten die Songs von Acht Eimer Hühnerherzen auch von den Ärzten sein, etwas schlichter zwar, aber genauso augenzwinkernd. Doch während „die beste Band der Welt“ von Westerland singt, trällert Apocalypse Vega mit ihrer kraftvollen, aber auch dünnen Stimme von Eisenhüttenstadt. Dazu schrammelt sie genüsslich Gute-Laune-Musik, die jedes noch so öde Wort in eine Hymne verwandelt, ob es nun um eine Planstadt geht oder um Melancholie. Auch darüber muss man lachen können. Acht Eimer Hühnerherzen gelingt dies mühelos – kein Wunder, dass die Band in ihrer Heimatstadt Berlin bis zu 1600 Menschen auf ihre Konzerte lockt. In Bonn hat sie bisher nur im Bla gespielt, macht sich in der Harmonie aber schnell Freunde. Zugegeben, die Musik ist nicht sonderlich komplex, macht aber Spaß, zumal Vega sowie Bassist Herr Bottrop und Drummer Bene Diktator herrlich ungezwungen miteinander umgehen und das Publikum nur zu gerne auf eine wilde Reise durch die Nacht mitnimmt. Auf diese Weise kommt diese Crossroads-Ausgabe doch noch zu einem versöhnlichen und unterhaltsamen Ende. Ob die geplante Neuausrichtung des Formats in dieser Weise auf Dauer funktionieren kann, wird sich erst noch zeigen müssen – einige Hinweise sowohl positiver als auch negativer Art haben die vier Tage in der Harmonie aber immerhin schon ergeben. Damit kann man ja arbeiten.


Sendetermine

Sendetermine
Matze Rossi / Jesper Munk / Mina Richman | 29. April 2025, 01.10 - 04.10 Uhr | 3sat
Die Sterne / Botticelli Baby / Philine Sonny | 13. Mai 2025, 02.05 - 05.40 Uhr | 3sat
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 20. Mai 2025, 02.10 - 04.20 Uhr | 3sat
Jesper Munk / Matze Rossi | 2. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Die Sterne / Mina Richman | 9. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Philine Sonny / Botticelli Baby | 16. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen
Acht Eimer Hühnerherzen / Kratzen | 23. Juni 2025, 02.00 - 04.30 Uhr | WDR Fernsehen


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