Erst kommt das Fressen, dann das Gelächter: Wenn die Reaktionen bei der Premiere als Maßstab dienen können, dürfte „Die Dreigroschenoper“ in der Oper Bonn zu einem echten Publikumsrenner werden, nicht zuletzt dank einiger starker Stimmen und eindrucksvoller Bilder. Regisseur Simon Solberg hat den berühmten Stoff im Grunde wie ein modernes Musical inszeniert, visuell ansprechend und überaus rasant, wild, direkt und fast schon punkig – aber eben auch mit zum Teil flachen Charakteren, viel Klamauk und wenig Unterstützung für die zentralen Botschaften des Stücks über die Text-Ebene hinaus. Was bleibt, ist reine Unterhaltung, die durchaus zündet, den großen Wurf aber vermissen lässt.
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Der Hang zur theatralen Komik ist ein ständiger Begleiter im Werk Solbergs und ein bewährtes Mittel, um die wirklich dramatischen Momente zu verstärken: Je größer der Kontrast zwischen Spaß und Ernst, desto größer die Fallhöhe. Ein einfacher Ansatz. Aber nicht unbedingt der beste, zumal Solberg sein Ensemble bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Übertreibung anspornt. Vor allem Alois Reinhardt ist als Münz-Matthias und Filch ein Clown ohne Narrenkappe, der auf Breakdance- und Fecht-Einlagen zurückgreift und seine Figuren so der Lächerlichkeit Preis gibt. Bei ihm ist das allerdings noch zu verschmerzen – bei Macheath alias Mackie Messer nicht. Daniel Stock lässt auch ihn wie einen unbehandelten, restlos überdrehten ADHS-Patient mit einem Dauergrinsen über die Bühne taumeln, was die Figur in etwa so gefährlich macht wie einen Zwergpudel. Und das bei einem eiskalten Mörder und berüchtigten Bandenchef, der lediglich gegen Ende, kurz vor seiner Hinrichtung durch den Strick, an Tiefgang gewinnt. Schade. Stärker sind dagegen Özgür Karadeniz als herrlich verschlagener Jonathan Peachum sowie Timo Kählert, der sich trotz einer Lebensmittelvergiftung am Vortag tapfer auf die Bühne schleppt und den korrupten Polizeichef Brown sehr überzeugend spielt.
Und dann wären da die Frauen: Marion Kracht ist als Celia Peachum vor allem dann fantastisch, wenn sie in einer kantigen Altlage bleibt, Imke Siebert hat in der Rolle der Spelunken-Jenny
insbesondere mit dem „Salomonsong“ einen eindrucksvollen Auftritt, und Marie Heeschen überzeugt als Lucy Brown, eine weitere Geliebte von Mackie Messer, die sich sogar an die aus der Uraufführung
gestrichene weil anspruchsvolle „Arie der Lucy“ herantraut. Den größten Applaus hat allerdings Julia Kathinka Philippi verdient, deren Polly Peachum alles andere als ein Unschuldslamm ist,
sondern vielmehr zusammen mit Mackie Messer eine elisabethanische Version von Bonnie und Clyde darstellt – zumindest bis letzterer sie betrügt. Philippi gelingt es, die Transformation von der
rebellischen Punk-Göre zur harten Nachfolgerin von Macheath geschickt auszubauen und selbst die immer wieder eingestreuten Albernheiten für eine Charakter-Entwicklung zu nutzen. Die Kostüme von
Christina Schmitt, die aus beweglichen Turm-Elementen konstruierte Bühne (auch das ein Solberg-Klassiker) sowie das intensive Licht von Boris Kahnert tragen ihren Teil dazu bei und gestalten eine
sehenswerte Szenerie – für’s Auge bietet „Die Dreigroschenoper“ also mehr als genug.
Auch musikalisch gibt es nicht viel zu beklagen. Das Beethoven-Orchester spielt unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr auf gewohnt hohem Niveau, das Ensemble ist hervorragend bei Stimme, und
die legendären Gassenhauer aus der Feder von Kurt Weill wie „Die Seeräuber-Jenny“, „Der Kanonensong“ oder auch „Wovon lebt der Mensch?“ (stilecht mitsamt Einbeziehung des Publikums) sorgen
ohnehin für Begeisterung. Auch die späte „Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet“ bleibt in Erinnerung, auch weil Daniel Stock sie mit viel Gefühl umsetzt und zeigt, was er alles
kann, wenn man ihn nur lässt. Insofern gelingt „Die Dreigroschenoper“ durchaus – zumindest sofern man herkömmliche Musical-Maßstäbe ansetzt, die auf der inhaltlichen Ebene selten mehr wollen.
Brecht allerdings hätte mehr verdient.
Termine
20.4., 18 Uhr; 10.5., 19.30 Uhr; 29.5., 18 Uhr; 1.6., 18 Uhr; 8.6., 18 Uhr; 17.6., 19.30 Uhr; 19.6., 18 Uhr; 3.7., 19.30 Uhr; 9.7., 19.30 Uhr. Alle Veranstaltungen finden in der Oper statt. Tickets erhalten sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen.
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