Verkehrte Welt: Ausgerechnet das stärkste, leidenschaftlichste, energiegeladendste Konzert der bisherigen KunstRasen-Saison weist die geringsten Besucherzahlen auf. Nur etwa 600 Fans waren zu Folk-Punker Frank Turner gekommen, dessen Auftritt durch die Veranstalter kurzfristig ins Brückenforum verlegt worden war. Eine nicht ganz unumstrittene Entscheidung, die aber angesichts der phänomenalen Stimmung im Saal letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Aus Sicht des Publikums hätte der Tag nicht besser sein können: Herrliches Wetter über und Partymusik auf dem KunstRasen, erst Synthi-Klänge der Steaming Satellites, dann wilder Rock von Madsen und schließlich Fußballgesänge von den Sportfreunden Stiller. Gut 3500 Menschen feiern ausgelassen, haben Spaß am Springen und Tanzen, schmettern begeistert einen Ohrwurm nach dem anderen mit. Irgendwas müssen die Bands wohl richtig gemacht haben. Auch wenn man sich angesichts so mancher Elemente aus dem Rockbaukasten für Anfänger, des teils unterirdischen Gesangs und der platten Liedttexte durchaus fragt, was das nur gewesen sein könnte.
Was für ein Jubel! Ein ohrenbetäubendes Kreischen schallt über den KunstRasen, ausgestoßen von knapp 1500 Teenie-Kehlen. Das alles für zwei 17-Jährige, die an einem Sonntagnachmittag etwas verloren auf der großen und weitgehend kahlen Bühne stehen, sich aber megacool geben und mit einer Mischung aus Wannabe-HipHop und Seifenoper-Pop aus dem Songbaukasten anderthalb Stunden zu füllen versuchen? Tja, immerhin ist die Rede von den Lochis, die mit zwei Millionen Abonnenten bei Youtube zu den derzeit populärsten Internetstars des Landes zählen. Teenie-Idole der Generation O(nline), das der digitalen Sphäre entwachsene Äquivalent zu den Kaulitz-Zwillingen von Tokio Hotel.
Irgendwer wird immer nass: In den vergangenen fünf Jahren hat es noch keine KunstRasen-Saison gegeben, bei der nicht mindestens ein Künstler auf eine dem Regen tropfende Menge blickte. 2015 und 2013 traf es Zaz, die mit ihrer Leidenschaft und ihrer fetzigen Musik den Wolkenergüssen Kontra gab – und am Samstag versuchte es nun Jan Delay (und vor ihm die bezaubernde „Lieblingsmensch“-Sängerin Namika) mit einer ähnlichen und äußerst erfolgreichen Strategie. Party-Funk und Gute-Laune-HipHop im Matsch.
Zur Ruhe kommen ist gar nicht so einfach. Vor allem nicht in einer Stadt, in der das Leben pulsiert und eine beständige Geräuschkulisse die Menschen in einen oft zu hektischen Rhythmus zwängt. Diesen hat die Junior Company Bonn nun aufgenommen und in ihrer von Rafaële Giovanola und Marcelo Omine geschaffenen Choreographie „Space Is Only Noise“ tänzerisch umgesetzt, die am vergangenen Donnerstag im Theater im Ballsaal ihre Premiere feierte. Stille ist hier ebenso ein Fremdwort wie Stillstand. Selbst in kurzen Momenten der Entschleunigung sind die Jugendlichen immer in Bewegung – und schwanken dabei zwischen dem Streben nach Individualität und der Sehnsucht nach einem Zusammengehörigkeitsgefühl.
Er ist erwachsen geworden. Ein bisschen älter, ein bisschen weiser. Und deutlich braver. Die einst so provokanten, vom Index bedrohten Zeilen über Analverkehr hat Sido, der gestern Abends mit einer umjubelten "richtigen HipHop-Show" die KunstRasen-Saison 2016 in den Rheinauen eröffnet hat, schon seit längerem ebenso ad acta gelegt wie die Totenkopfmaske seiner frühen Solo-Tage. Mit derartigen Mitteln muss er einfach nicht mehr um Aufmerksamkeit heischen, muss sich nicht mehr als harter Kerl produzieren. Ein bürgerliches – manche sagen spießiges – Leben verändert nun einmal den Fokus. Statt Sex, Gewalt und Drogen, die noch 2004 auf „Maske“ zum Lebensmittelpunkt erklärt wurden, geht es dem Berliner Rapper nun um andere Dinge. Um Löwenzahn zum Beispiel („Wenn du ne gelbe Blume siehst, die den Zement durchbricht, dann denk an mich“). Um Liebe. Und um den vermeintlich großen Überblick.
Dieses Semesterabschlusskonzert war reich an Erkenntnissen: Ja, die Bigband der Universität Bonn spielt ohne Frage auf einem professionellen Niveau. Ja, sie besteht trotzdem vorwiegend aus Studenten beziehungsweise Doktoranden (und überraschend vielen Juristen), wie Leiter Oliver Pospiech aus unerfindlichen Gründen bis zum Exzess betonte. Und nein, ein Termin direkt im Anschluss an ein EM-Spiel mit deutscher Beteiligung ist wirklich keine gute Idee.
Am liebsten würden sie ihn gar nicht mehr gehen lassen. Ist grade so schön im Autohaus. Hier bei BMW, wo es an diesem besonderen Abend nicht um laute Motoren geht, sondern um Musik aus tiefster Seele, die durch die Ausstellungsräume schallt und das Bonner Publikum in Partystimmung versetzt. Mitten zwischen teuren Limousinen tanzen sie, enthemmt und begeistert, sich fallen lassend in die Euphorie. Alles dank Max Mutzke. Der 35-Jährige mit der Wahnsinnsstimme ist im Rahmen des neuen Festivals Rheinhoch7, das zwischen Düsseldorf und Koblenz große Künstler an ungewöhnlichen Orten präsentiert, in die Bundesstadt gekommen und braucht nur Sekunden, um selbst scheinbar konservative Anzugträger zum Grooven zu kriegen.
Irgendwie ist Leonardo da Vinci wohl im falschen Jahrhundert geboren worden. Unzählige Erfindungen des legendären Florentiners, der als Maßstab aller Universalgenies galt, waren seiner Zeit um Generationen voraus. Der größte Denker der Renaissance war Wegbereiter für Fachgebiete wie Bionik, Aerodynamik und moderne Mechanik: Jetzt haben das Deutsche Museum Bonn und das Bonner Wissenschaftszentrum ihm eine Ausstellung gewidmet, die sich genau diesen Aspekten seines umfangreichen Schaffens widmet und die die dahintersteckenden Prinzipien gewohnt anschaulich und im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar macht.
Hip-Hop-Moves kommen an, selbst bei den Kleinsten: Die "Boys"-Kompanie von "Bad Honnef tanzt" wirbelt immer wieder mit Footworks über den Boden, cool und lässig bis hin zum Nesthäckchen Otto. Eher nach oben strebend dagegen die "Girls" mit ihren Sprüngen, bei denen die langen Haare fliegen können. Zusammen eröffnen die beiden Jugendtanzgruppen in der Bonner Oper das 4. Sommerfestival "Das Siebengebirge tanzt" – und sorgen dabei dank der Klänge des Jugend Jazz Orchesters Bonn für einen abwechslungsreichen und ausdrucksstarken Abend, der einmal mehr zeigt, wie essentiell die Förderung von Kultur in allen nur denkbaren Formen in Stadt und Region ist. Und wie effektiv. Denn was die Jungen und Mädchen zwischen 5 und 20 Jahren hier auf die Bühne bringen, ist wirklich bemerkenswert. Selbstbewusst im Rampenlicht stehend setzen sie beliebte Film- und Fernsehmelodien in Bewegung um, tanzen zu "Happy", "Pink Panther" oder "Hair" und haben dabei sichtlich Spaß.
Sie reden und tanzen in Zungen: Wirr, konfus und zugleich bedeutungsschwanger bewegen sich die Besessenen der Compagnie Bertha durch das Theater im Ballsaal. Geister in Fleischhüllen, die alle Sprachen beherrschen und doch keine. „Kabarais Bâtard“ lautet der Titel des Stücks von Choreographin Laure Dupont, inspiriert von dem umstrittenen ethnographischen Film „Les Maîtres Fous“ von Jean Rouch, ein mitunter groteskes, überzeichnetes, karnevaleskes Treiben irgendwo zwischen Ritus und Zirkus, in dem kulturelle Identitäten und deren Travestien austauschbar erscheinen. Genau dies macht die Stärke der Tanzdarbietung aus – und ihre Schwäche.
Irritation. Ja, Irritation trifft es gut. Irritation – und Langeweile. Sehr viel mehr löst Mirja Biels Inszenierung von Kafkas Romanfragment „Das Schloss“, die am vergangenen Freitagabend in den Kammerspielen als letzte Produktion der aktuellen Spielzeit Premiere hatte, leider beim Publikum nicht aus. Keine Beklemmung, keine Anspannung, noch nicht einmal ein Gefühl des drohenden Wahnsinns. Zweieinhalb Stunden lang Leere. Und während die Figuren sich wie auf einer überdimensionalen Spieluhr um sich selbst drehen, versinkt die Groteske in einem Meer aus Kunstschnee, der alle Ecken und Kanten verdeckt, alle Löcher, Abgründe, Tiefen.
Informationen? Werden überbewertet. Was spielt es schon für eine Rolle, mit wie vielen H man "Schwan" schreibt oder wie Zwergspitze aussehen, wenn man als Champ des RTL Comedy Grand Prix ohnehin auf der Überholspur ist? Dann kann man nämlich mit seinem Nichtwissen ebenso sehr punkten wie mit seiner Bildung - und Salim Samatou, der jetzt im Haus der Springmaus sein erstes Programm "Voll Tight" präsentiert hat, setzt genau hier an. Der 22-Jährige, der schon beim Weg auf die Bühne an den Vorhängen verzweifelt, gibt sich neugierig und tut doch so, als hätte er von nichts eine Ahnung, fröhlich mit der eigenen (gespielten) Dummheit kokettierend. Das könnte unterhaltsam sein. Ist es aber nicht.
Für einen Solokünstler hat Mathias Richling viele Gesichter. Viele Stimmen. Und vor allem viele Stühle. Schwarze, rote und goldene Sitzgelegenheiten, die kreuz und quer auf der Bühne der Bonner Oper stehen und in gewisser Weise bereits von politischen Geistern besetzt sind. Angela Merkel ist natürlich mit von der Partie, ebenso wie Wolfgang Schäuble, Edmund Stoiber, Andrea Nahles, Norbert Blüm oder Kurt Beck – Richlings Spuk-Menagerie, allesamt Karikaturen ihrer selbst und doch im Kern näher an der Realität, als angesichts der bissigen Parodien des 63-Jährigen auf den ersten Blick ersichtlich. All diese Politiker erweckt der Kabarettist in seinem aktuellen Programm „Richling trifft Richling“ zum Leben, offenbart ihre Plattitüden und ihre oft erfolgreiche Versprechensbekämpfung – und bleibt doch letztlich seltsam ziellos.
Ganz am Anfang seiner Karriere hatte Maxi Gstettenbauer nach eigener Aussage immer einen Sack über dem Kopf. Nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund eines Konzepts an einer Düsseldorfer Bühne. Ausnutzung des Überraschungseffekts und Spaß mit dem Unerwarteten – hat was. Leider hat der 27-Jährige den Sack inzwischen abgelegt. Braucht er nicht mehr, er war ja schon bei Stefan Raab, der ihn in gewohnt übertriebener Manier als „kommenden Stern am Comedy-Himmel“ bezeichnet hat. Doch ohne Verhüllung wird alles vorhersehbar, was bei Gstettenbauers Auftritt im Haus der Springmaus letztlich nur dazu führt, dass innerhalb von Minuten die zentralen Themen benannt sind: Pornos, Comics und Technik. Mehr nicht. Aber wenn schon eine kackende Katze zum Youtube-Star wird, sollten diese drei Schlagworte locker reichen, um beim Publikum anzukommen. Was denn auch tatsächlich der Fall ist.
Fremdenfeindlich? Ist Heinz Becker mit Sicherheit nicht! Diesen Vorwurf weist der Mann mit der Batschkapp rigoros von sich. Wo käme man denn da hin? Nein, fremdenfeindlich ist er keinesfalls. Höchstens vorsichtig. Man kennt diese Leute ja nicht, die da seit Jahren als Gastarbeiter oder Flüchtlinge ins gelobte Will-kommen-Land ziehen. „Früher war der Schwarze Mann ein Kind aus der Nachbarschaft, heute ist der echt“, sagt Becker, der mal wieder im voll besetzten Pantheon seine Lebensweisheiten präsentiert. „Und wenn er kommt? Dann laufen wir eben.“ Könnte ja ein Terrorist sein. Und auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit für einen Anschlag gibt, geht der 66-Jährige lieber auf Nummer sicher. Das hat er inzwischen gelernt, nicht zuletzt dank seiner langjährigen Ehe mit Hilde. „Ich hab lieber Angst und weiß warum, als weltoffen zu sein und den Überblick zu verlieren.“
Alles nur Theater. Eine Show. Eine Inszenierung. Benefiz, das ist nicht viel mehr als eine Worthülse – und wenn sich dann doch mal jemand aufregt über den Mangel an Barmherzigkeit und Nächstenliebe, wenn die Wut kurzzeitig aufflammt, weil aus Angst vor Betroffenheit die Wahrheit beschönigt wird, wird dieser Moment der Aufrichtigkeit kurzerhand zum Teil des Schauspiels gemacht und damit selbst der ausgeprägteste Idealismus ad absurdum geführt. Die bittere Satire mit dem klobigen Titel „Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner – zumindest ein Versuch“ nach Ingrid Lausund, die Absolventen der Alanus-Hochschule jetzt im Pantheon aufgeführt haben, setzt genau dieses Szenario um und lässt fünf unterschiedliche Charaktere bei einer Probe zu einem Benefiz-Abend für einen Schulbau in Guinea-Bissau aufeinanderprallen. Eine Konstellation, die nur auf eine Weise funktionieren kann: absurd.
Es brodelt und prickelt im Pantheon. Mieder fliegen, Schampus spritzt, nackte Haut trifft Glanz und Glitzer – und das alles mit Stil und einem herzhaften Augenzwinkern. „Let's Burlesque“ ist das Motto des Abends, den Evi und das Tier ausgerufen haben. Eine Aufforderung zu etwas mehr Freiheit, zu einem Schritt in die Welt zwischen den Schubladen, in der es nicht um Supermodel-Maße und Perfektion geht, sondern vor allem um eins: um Spaß. Und für den sorgen Gastgeberin Evi und ihre achtköpfige Truppe schon. Mal mit Musik, mal mit Erotik, immer erstklassig, niemals billig. Ein Genuss für Augen und Ohren, dem sich das Pantheon-Publikum mit Vergnügen hingibt.
Königinnenwetter sieht eigentlich anders aus: Donnergrollen und Dauerregen bestimmen das einzige Deutschlandkonzert von Queen im nur halb gefüllten Kölner RheinEnergie-Stadion, konkurrieren mit der großen Lasershow, dem Bombast, dem epochalen Rock einer der erfolgreichsten Bands der Welt. Und mit den Erinnerungen und Emotionen, die zwangsläufig aufkommen. Viel Nostalgie ist dabei, aber auch viel Wehmut. Seit 25 Jahren ist Freddy Mercury nun schon tot und wird doch vermisst wie kein anderer Superstar. Dabei steht mittlerweile mit Adam Lambert ein neuer Sänger auf der Bühne, der seine Aufgabe kaum besser erfüllen könnte: Ein schillernder Liebhaber großer Gesten mit beeindruckender Stimmgewalt, der sich durchaus seinem großen Vorbild annähert, ohne Mercury komplett zu kopieren – und doch in seinem Schatten steht. Oder unter einen roten Regenschirm.
Eine kleine Neckerei unter Freunden: Auf dem Geburtstagsalbum für Jazz-Legende Klaus Doldinger, der in diesem Jahr 80 geworden ist, hat sein alter Passport-Kollege Udo Lindenberg diesen augenzwinkernd als „heißen Greis“ besungen. Gut, der Panikrocker darf das. Aber Recht hat er damit trotzdem nur zum Teil. Denn das Alter sieht man dem Saxofonisten nun wirklich nicht an, wie jetzt ein Konzert in der nahezu ausverkauften Kölner Philharmonie belegt hat. Energiegeladen wirkt er, leidenschaftlich, fit. Ein Greis ist er somit höchstens auf dm Papier – heiß aber in der Realität. Heiß auf Jazz in all seinen Spielarten, heiß aufs Spielen und heiß aufs Publikum. „Ich bin innerlich beglückt“, sagt er, weil so viele Menschen seinetwegen in die Domstadt gekommen sind und weil er nicht so wie einen Tag zuvor mit einer Erkältung zu kämpfen hat. Die Voraussetzungen für einen großartigen Abend sind also gegeben – und Klaus Doldinger übertrifft sie locker.
Der digitale Schaffensprozess ist abgeschlossen, jetzt können die Konzerte folgen: Die Singer-Songwriterin Clara Clasen, die 2015 im Rahmen eines Youtube-Projekts sehr viele Titel geschrieben und aufgenommen hat, drängt derzeit auch ohne ihre seit 2011 bestehende Band The Experience auf alle möglichen Bonner Bühnen, um mit ihrer starken Stimme und ihrem meist energischen, ruppig-robusten Gitarrenspiel ihr Publikum zu begeistern. Nun hat der wilde Rotschopf beim ersten abendfüllenden Solo-Konzert im Pantheon Casino Vollgas gegeben und dabei unter Beweis gestellt, welches Potenzial in der jungen Frau steckt. Nämlich ein beträchtliches.
Früher war alles besser. Oder zumindest anders. Mitunter gar einfacher. Und das, obwohl es eigentlich nichts gab. Das Fernsehen bestand aus nur drei Programme (eins davon mit Schnee), Die Küche aus Prilblumen, der Nudelsalat aus wahrscheinlich von Nahrungsmittelterroristen erfundenen Gabelspaghetti und das Taschengeld aus gerade einmal zehn Mark im Monat, mit denen sowohl der Zigaretten- als auch der Alkoholkonsum abgedeckt werden musste, was so manchen Teenager unweigerlich kreativ werden ließ. So auch Jochen Malmsheimer, der sich im Pantheon mit nostalgischer Verklärung an die 70er Jahre erinnerte, jene Ära, die an Merkwürdigkeit bis heute unübertroffen ist. Mit der ihm eigenen titanischen Wortgewalt hämmerte der 54-jährige Sprachschmied die Sätze in eine elegisch-ironische Form – und hielt das zwischen Begeisterung, Bewunderung und Zustimmung hin- und hergerissene Publikum mühelos zwei Stunden lang in seinem Bann.
Damit eins von vornherein klar ist: Helge Schneider ist ein Superstar. Mindestens. Wenn nicht gar ein Mega- oder ein Gigastar. Auf jeden Fall ein ganz großes Tier im Showgeschäft, die deutsche Antwort auf Madonna oder so. Auf jeden Fall einer, der es sich leisten kann, in blauem Anzug und mit Luden-Brille samt sechsköpfiger Band, tanzendem Waldschrat und zwei Tee-Dienern in die schönsten und besten Hallen der Republik zu kommen. Oder eben in Ermangelung von Alternativen in die ausverkauften Beethovenhalle. Geht auch. Dort macht der beständig zwischen Genie und Wahnsinn pendelnde 60-Jährige im Rahmen seiner „LASS KnACKEN OPPA!“-Tour dann eben das, was er am Besten kann – totalen Blödsinn und grandiose Musik. Ein Abend zwischen Hurz und Jazz, zwischen Anarchie und Harmonie, zwischen Wundern, Lachen und Genießen.
Die Zeit scheint Judy Collins grundsätzlich etwas anders zu berühren als die meisten Menschen. Zögerlicher. Vorsichtiger. Freundlicher. 77 Jahre ist die Grande Dame des Folk inzwischen alt, auch wenn man ihr das nicht im geringsten ansieht – und erst recht nicht anhört. Bei einem Konzert im Bonner Pantheon im Rahmen der ersten Deutschland-Tour seit 45 Jahren hat sie nun mit ihrem glasklaren, glockenhellen Sopran, ihrem Charme und ihrem Witz von der ersten Sekunde an alle in ihren Bann gezogen.Zwei Stunden lang Collins pur: Was für eine bemerkenswerte Erfahrung.
Macbeth ist eine zerrissene Figur. Ein machthungriger Adeliger mit despotischen Zügen, aber zugleich von Schuldgefühlen geplagt, sich selber in Frage stellend, die Diskrepanz zwischen Verlangen und Moral nicht auflösen könnend. In ihm, dem von Gewalt, Angst, Hoffnung und Verzweiflung angetriebenen Shakespearschen Schottenkönig, sieht das Bonner fringe ensemble somit eine Spiegelung des europäischen Gemüts. Auch der Kontinent schwankt schließlich und greift mitunter zu extremen Maßnahmen. Grund genug, diese Verbindung in theatrale Form zu packen. Im Rahmen des zweiten Projekts der Reihe „Das große Welttheater“ haben die Bonner daher Autoren aus Lettland, Kroatien, Russland, Frankreich, Deutschland und der Türkei beauftragt, entsprechende Texte zu schreiben. Das so entstandene Konglomerat der ineinander verwobenen Einzelstücke kam nun unter dem Titel „Macbeth over Europe“ im Endenicher Theater im Ballsaal zur Uraufführung und erwies sich als mitunter recht abstraktes, aber immer kritisches und letztlich dank seiner Vielfältigkeit sehr sehenswertes Werk.
Manchmal muss man die Texte nicht verstehen, um das Heilige in bestimmten Liedern zu erfahren. Zumindest wenn diese von Musikern vorgetragen werden, die die mystische Essenz in gefühlvollen Klang umwandeln können. In der Pauluskirche ist dieses Wunder am Freitag vor Pfingsten dank des Konzerts von Tord Gustavsen, Simin Tander und Jarle Vespestad im Rahmen der Soul Preacher Night Wirklichkeit geworden: Norwegische Kirchenhymnen in einer Paschtu-Übersetzung, fein verjazzt und gesungen von einer Kölner Deutsch-Afghanin, deren hypnotisch-gefühlvolle Stimme jeden in ihren Bann zog, berührten das Publikum über alle Sprachbarrieren hinweg.
So ganz kann man sich nicht entscheiden: Ist es eine Hommage oder eine Parodie auf Frank Wedekind, die das Ensemble des Theaters Die Pathologie hier zum Besten gibt? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Der Autor und Dramatiker, der Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen Satiren, Spott- und Schmähliedern und seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken für Aufsehen sorgte, hatte selbst immerhin schon zu Lebzeiten damit gerechnet. "Der Schauspieler ist ein muntrer Gesell, Er hat ein beneidenswert dickes Fell. // Er wird sich nicht im geringsten genieren, Mich mit dieser Satire zu parodieren", schrieb er in einem Gedicht, das Maren Pfeiffer, Markus-Maria Vogel und Michael Policnik offenbar zur konzeptionellen Grundlage ihrer Collage "Ein splitternackter Mund" gemacht haben. Denn tatsächlich nimmt das Schauspieler-Trio weder sich selbst noch Wedekind allzu ernst. Eigentlich ein guter Ansatz. Wenn sie nur auf einen vorhergesagten Aspekt verzichtet hätten: "Was nicht immer gleich gut gelingt, // Ist die Art, wie er seine Spottlieder singt."
Mit Beziehungen hat Bodo Wartke so seine Probleme. Ausgerechnet er, der Charmeur am Flügel, der Klavier-Kavalier, hat in amourösen Dingen offenbar kein glückliches Händchen. Zumindest wenn man den Liedern, die der 38-Jährige in der Bonner Beethovenhalle vorträgt, Glauben schenken darf. In ihnen beschreibt er sein Leid, offenbart er das Verzehren nach einem geliebten Menschen, der die Gefühle nicht erwidert, den Herzschmerz, die beständige und doch oft so irrationale Hoffnung auf ein Happy End – und spricht damit vielen aus der Seele. „Es reicht nicht“: Nur drei Worte, die sich wie ein glühender Speer in das Innerste bohren können und eine Leere zurücklassen, die erst mit der Zeit vernarbt. Wenn überhaupt. Doch Wartke verfällt bei aller Wehmut nicht in Trostlosigkeit, sondern begegnet dem emotionalen Tiefschlag wie jeder gute Clown mit einem Lächeln. Ein Talent, für das ihn seine Fans nur um so mehr bewundern.
Wenn schon, dann aber bitte richtig: Mit einem für alle Beteiligten äußerst anspruchsvollen Doppelkonzert ist am vergangenen Samstag das siebte Bonner Jazzfest in der Bundeskunsthalle zu Ende gegangen. Stilecht also. Schließlich setzt das Team um Organisator und Initiator Peter Materna nicht auf Easy Listening, sondern auf Künstler, die den Jazz (neu) definieren. So wie derzeit etwa Vijay Iyer, der seit einigen Jahren für Furore sorgt, indem er Avantgarde und Tradition nicht einfach nur verbindet, sondern sie verschmilzt und das Amalgam mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit präsentiert, die seinesgleichen sucht. Zusammen mit seinen beiden herausragenden Trio-Partnern Stephan Crumb (Bass) und Marcus Gilmore (Drums) stürzte er sich in ein hochkomplexes musikalisches Gespräch ohne Punkt und Komma, das das Publikum sowohl begeistert als auch sprachlos zurückließ.
Nach den letzten Tönen von „White Shadows“ herrscht Stille. Kein Applaus, nur begeistertes Schweigen. Es ist die ultimative Ehrerbietung für Jacob Karlzon, der mit diesem Instrumentalstück seinen Auftritt im Kammermusiksaal des Beethovenhauses krönt. Im Rahmen des Bonner Jazzfests kreiert der charismatische Schwede, der momentan auf Solo-Tour ist, einmal mehr seine verspielten Klanggemälde, für die er sich bei der Klassik ebenso gerne bedient wie bei hartem Rock.
Eine Stimme wie ein Sommerregen. Warm, zart, erquickend, für eine wohlige Gänsehaut sorgend. Und dazu ein ganz dezenter, gefühlvoller Bass, unglaublich virtuos gespielt, ein perfekter oberonscher Gegenpart für den Gesang der Titania des Jazz. Was Cæcilie Norby und ihr Ehemann Lars Danielsson im Rahmen des Bonner Jazzfests im Saal des LVR Landesmuseums darbieten, ist nicht weniger als pure Tonmagie. Die 51-kährige Dänin, die als eine der erfolgreichsten Jazzkünstlerinnen Europas gilt und dabei doch so bodenständig und unprätentiös erscheint, beherrscht ihr Organ wie nur wenige, wechselt vom feinen Folk-Gesang ohne Umschweife in fast schon klassische Sphären oder in eine scattende Vokal-Improvisation, kann streicheln und schmettern, rocken und verzaubern, ohne dabei auch nur minimale Einbußen in der Intonation in Kauf nehmen zu müssen.
Es weht ein zunehmend frischer Wind durch die Bonner Kulturszene, auch wenn mancher Pessimist das mitunter noch nicht so ganz glauben mag. Doch die diesjährige 10. Bonner Theaternacht hat einmal mehr bewiesen, dass sich nicht nur im Theater Bonn mit seinem sehr jungen Ensemble ein Generationenwechsel vollzieht. Bei der großen Werkschau am 4. Mai war ein Großteil der Bühnen fest in der Hand des international ausgerichteten Nachwuchses: Im Euro Theater Central hatte die deutsch-italienisch-französische Theatergruppe GIFT das beliebte Speed-Acting übernommen und Figuren aus ihrem Stück „Xeno“ (darunter Iago, Othello und Hitler) in Gesprächssituationen mit dem Publikum gebracht, in der Probebühne 4 des Schauspielgeländes Beuel schickte die Alanus-Hochschule ihre Studenten auf die Bühne, im Mackeviertel um Kult 41 und Fabrik 45 bestimmten studentische Gruppen ebenso das Bild wie in und an der Universität, und die Brotfabrik ist ohnehin schon seit Jahren fest in der Hand frischer freier Ensembles wie der Gerüchteküche, der spanischen Gruppe LaClínicA sowie der Bonn University Shakespeare Company (BUSC).
Selbstzweifel und innere Dämonen: Damit hat die Bonner Band Drawing Circles in mehr als einer Hinsicht zu kämpfen. Inhaltlich etwa im Song "Sleepness", das sich auf dem Album "Sinister Shores" des Ambient-Alternative-Trios findet – aber auch in der Realität, wie ein Auftritt im Pantheon Casino beweist. Denn souverän wirken die drei jungen Musiker wirklich nicht. Eher verloren, geplagt von Melancholie und Ziellosigkeit. Diese Grundstimmung hat schon vielen Formationen zum Durchbruch verholfen, Grunge als Stilrichtung hat davon sogar gezehrt, doch bedarf es dabei immer der Balance zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Verzweiflung und Rebellion. Und so sehr sich Drawing Circles auch bemühen, sind sie noch lange nicht an diesem Punkt angekommen.
Offiziell will John Illsley ja derzeit vor allem sein neues Album vorstellen. Auch in der Harmonie. Doch von „Long Shadows“ kommt vor halbleeren Rängen nicht sonderlich viel – dafür zur Freude des Publikums umso mehr Hits aus der guten alten Zeit der legendären Dire Straits, die Illsley 1977 zusammen mit Mark und David Knopfler gegründet hatte und denen er bis heute nachzutrauern scheint. Das war und ist sein Sound, diese besondere Mischung aus Rockigem und Lyrischem, aus Melancholie und Gelassenheit, oft erzählend, immer berührend. Und so klingt selbst in den neuesten Kompositionen des Bassisten mit der kratzigen Stimme immer ein Hauch Nostalgie mit, schwebt eine permanente Knopfler-Reminiszenz wie ein Geist über den Wassern. Schlimm ist das keineswegs, zumal die Fans ohnehin in erster Linie gekommen sind, um ebenfalls in Erinnerungen zu schwelgen. Die Illsley nur zu gerne wachruft. Und somit alle glücklich macht. Na gut, fast alle.
Einen hat Obama nicht gekriegt. Am Welttag des Jazz hat der US-Präsident ein großes Konzert in Washington organisiert und dabei viele Stars eingeladen, an denen auch das Bonner Jazzfest Interesse gehabt hat, wie dessen Chef Peter Materna in der Aula der Universität Bonn mit nur einem halben Augenzwinkern bekennt. Chick Corea, Pat Mattheny, Diana Krall und Aretha Franklin haben verständlicherweise der US-Hauptstadt den Vorzug gegeben – doch das Programm in der deutschen Bundesstadt an diesem speziellen Samstag kann sich nichts desto trotz sehen lassen. International besetzt, abwechslungsreich und virtuos kommt es daher und weist mit Michael Wollny zugleich einen Shooting Star der deutschen Jazzszene auf, der keinen weiteren Gedanken an mögliche große Namen zulässt. Mit seinen „Nachtfahrten“ sorgt der 37-Jährige Pianist für begeisterte Gesichter und stehende Ovationen. Zu Recht, denn eine gewisse Magie ist omnipräsent.
Was ist Musik? Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Bedarf sie der Klänge, oder kann sie auch eine Ansammlung von Geräuschen sein? Diese Fragen drängen sich bei dem Auftritt von Sidsel Endresen und Stian Westerhus im Rahmen des Bonner Jazzfests unweigerlich auf. Ist das, was die beiden Norweger da in der Brotfabrik präsentieren und was sich herkömmlichen Begriffen wie Tonalität, Harmonie und Melodie nahezu vollständig entzieht, noch Kunst oder kann das schon weg? Wie lässt sich dieses amorphe Geräuschkonstrukt definieren, das in weiten Teilen mehr mit der kosmischen Hintergrundstrahlung als mit dem sonst üblichen Verständnis von Musik zu tun hat und das etwa die Hälfte des Publikums in dem anfangs bis auf den letzten Platz gefüllten Saal nach und nach in die Flucht treibt?
Es ist schon ein magischer Moment. Einer von vielen, aber wahrscheinlich der größte an diesem Abend. Unvermittelt steht er da, Lebo M, dessen unvergleichliche Stimme jeder kennt, der schon einmal die ersten Sekunden von „The Lion King“ gesehen hat. Ihn hat Hans Zimmer als Überraschungsgast mit in die Kölner Lanxess Arena geholt, wo der legendäre Filmkomponist in einem überwältigenden Konzert zum Abschluss seiner Deutschland-Tournee erstmals einen Überblick über sein bisheriges Schaffen gibt. Mächtig, gewaltig, wuchtig kommt die Musik oft daher, begleitet von einem Licht- und Farbengewitter, nur um dann wieder abzuebben, ruhig zu werden, umschmeichelnd, lyrisch. Und mittendrin eben Hans Zimmer, der all das orchestriert, mal am Klavier, mal am Synthesizer und mal an der Gitarre, immer aber auf der Klaviatur der Gefühle spielend, wie es außer ihm nur ganz wenige vermögen.
Mit Vollgas in den Folk. Und ja nicht langsamer werden. Seit 25 Jahren fahren Fiddler's Green mit dieser Prämisse sehr gut – keine andere Band kann so konstant Turbo-Versionen irischer Jigs und Reels in den deutschen Albumcharts platzieren wie die Speed-Folkrocker aus Erlangen, die jetzt mit gleich zwei Konzerten zu Gast in der Harmonie waren. Immerhin mussten sie ja dem Andrang auf ihre Acoustic Crawl Tour Rechnung tragen. Kein Zweifel, die Fiddler sind so populär wie nie, locken alte Fans ebenso wie junges Volk vor die Bühne, wo dann einheitlich gesungen und gesprungen wird, da das Sextett um Frontmann Ralf "Albi" Albers einfach zum Glück nicht anders kann, als für exzellente Pub- und Partystimmung zu sorgen.
Die Luft ist durchtränkt von Magie. Auf dieser Bühne, an diesem Abend, scheint alles möglich: Bei der restlos ausverkauften Simsalabonn-Gala im Jungen Theater Bonn, die den Abschluss der siebten Bonner Zauberwochen markiert, lassen es die Vertreter des lokalen Ortszirkels zusammen mit internationalen Gästen noch einmal so richtig krachen. Karten erscheinen aus der Luft, Geld aus Zigaretten und lebende Tauben aus weißen Tüchern; Damen werden scheinbar verdreht, Mäntel schweben, Krawatten wechseln in Sekundenbruchteilen von einem Hals zum nächsten – selbst das Lösen eines Rubik-Würfels ist mit Zauberei ein Kinderspiel.
So klingt also Zukunftsmusik: Mal lyrisch und fast schon klassisch, mit Querflöten in einer Bigband-Besetzung und fließenden Melodielinien, dann wieder in sich zusammenfallend, ein tonales Circus-Chaos im Swing-Modus. Dazwischen geschichtete Harmonien, Weiden- und Ruinenklänge. Ergebnisse einer Art von Kompositionswettbewerb des Bundesjazzorchesters (BuJazzO), die beim Auftakt des inzwischen siebten Bonner Jazzfests am vergangenen Freitag im Telekom Forum erstmals zu Gehör kamen und einen bemerkenswerten Kontrast zu den Klassikern bildeten, die der berühmte Bassbariton Thomas Quasthoff mit ebenso viel Leidenschaft wie Können präsentierte. Ein starker Auftakt – und zugleich ein Abend ganz im Sinne des viel zu früh verstorbenen Roger Cicero, der ursprünglich in diesem Rahmen auftreten wollte.
Für alles gibt es eine App. Das Handy weiß mittlerweile alles, kann berühmte letzte Worte auflisten, den Erlkönig rezitieren oder auch als Loop-Station aus einem einzelnen Sänger einen ganzen Chor machen. Toll - doch warum die Technik nutzen, wenn man auch echte Menschen haben kann, die genau das selbe tun? Nur viel besser? So wie Maybebop: Das a-capella-Quartett aus Hannover hat in seinem neuen Programm "Das darf man nicht" dem Medienwahn der "Zuvielisation" den Kampf angesagt und erweist sich im Pantheon eindeutig als die bessere Wahl. Spritzig, witzig und mit beeindruckendem Harmoniegesang lassen die Vier keinen Zweifel daran, das Technik nur ein Hilfsmittel für echte Stimmen sein kann. Auch wenn sie beides mit gleich viel Enthusiasmus in ihre Show einbauen.
Hungrig sind sie. Mutig. Mitunter absurd, dann wieder erfreulich politisch. Und nur ganz selten belanglos: Die zehn Teilnehmer des diesjährigen 22. Prix Pantheon haben die Messlatte für zukünftige Generationen ziemlich hoch gehängt und dabei selbst einige der Sondergäste des zweiten Abends auf die hinteren Plätze verwiesen. Mit Plattitüden kam man in diesem Wettbewerb nicht weiter, wohl aber mit klarer Haltung oder einer ordentlichen Prise Dadaismus. Ein schöner Abschluss – aber auch einer, der abseits der starken Nachwuchskünstler einige Schwächen offenbarte.
Sie hat es schon schwer, die alte Schuppenhaut. Immer wieder erklärt sie die Mechanismen des Universums, gibt Tipps zu einer gesunden Lebensweise mit Alkohol, Nikotin und Koffein, gibt den Anstoß zu einem Leben voller Ruhe und Harmonie – und kaum scheint alles einigermaßen zu funktionieren, geht die Welt den Bach runter. Nur die Echse überlebt, sie, die sie seit Anbeginn der Zeit existiert, die schon die Dinosaurier und davor die Enten hat untergehen sehen und jetzt mit den Menschen leben muss, dieser Mutation aus Plankton und Schwanenscheiße. Mit ihrer orthopädischen Gehhilfe, dem exzellenten Puppenspieler Michael Hatzius, ist dieses ehrwürdige Wesen nun auch nach Bonn gekommen, um in der Springmaus Weisheit und ein bisschen „Echstasy“ zu verbreiten.
Sie sind wieder da! Und sie vergreifen sich wieder mit Elan an jedem Film oder Hörspiel, das nicht bei drei auf den Bäumen ist: Das Vollplaybacktheater (VPT) ist nach einer kreativen Pause und der unerwarteten Insolvenz ihres Tourneeveranstalters, die auch das Sextett an den Rand des Ruins trieb, wieder auf Erfolgskurs. Mit „Die drei ??? und der Phantomsee“ haben die Kult-Chaoten eine ausverkaufte Tour hinter sich gebracht. Bei einem ihrer letzten Auftritte zeigen sie im Bonner Brückenforum, wie unglaublich gut liebevoll gemachter Trash sein kann, wie herrlich schräg, vollkommen verrückt und ungemein unterhaltsam. Nicht zuletzt dank zahlreicher cineastischer Anspielungen – und jeder Menge Eissorten.
Diese Jugend von heute! Vor allem die Mädchen! Gehen mit der Mom in die Disco, lassen sich von dreizehnjährigen Youtube-Beautyqueens Stylingtipps geben und hören dabei auch noch Helene Fischer. Das geht doch nicht! Zum Glück gibt es Hoffnung in Form von niemand Geringerer als Carolin Kebekus, der „Alpha-Pussy“, die mit dem so betitelten Programm nun zwei Tage hintereinander die Beethovenhalle bis auf den letzten Platz ausverkauft hat. hat. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, all diesen vom rechten Weg abgekommenen Teenies eine Alternative zu zeigen, einen Ausweg aus der vermeintlichen Glamourwelt der IT-Girls.
Was für eine Stimme! Zugegeben, seit der Teilnahme bei "The Voice of Germany" wissen unzählige Musikfans um die gesanglichen Qualitäten Andreas Kümmerts, doch wissen und erleben sind nun einmal zwei verschiedene Dinge. Und so beeindruckt der 29-Jährige bei seinem ersten Konzert in Bonn um so mehr. Seine Energie, seine Ausdrucksstärke und seine scheinbar mühelosen Wechsel in die hohen Lagen euphorisieren das bunt gemischte Publikum in der ausverkauften Harmonie, sorgen ein ums andere Mal für Jubelstürme und verwandeln jede noch so schlichte Ballade in ein etwas Besonderes.
Elektrische Instrumente? Werden überbewertet. Und Blockflöten deutlich unterschätzt. Diese beiden Lehren kann das Publikum im Haus der Springmaus am Ende des Konzerts von Wildes Holz ohne weiteres ziehen. Das ungewöhnliche Trio aus Ausnahme-Flötist Tobias Reisige, Gitarrist Anto Karaula und Bass-Groovemonster Markus Conrads rockt die Bühne auch so, rein akustisch und schlichtweg brillant. Auf dem absteigenden Ast, auf dem sie sich nach eigener Aussage inzwischen befinden, sind sie dabei noch lange nicht, der Wipfel der Holzmusik ist schließlich groß genug.
Es ist dieser stampfende Rhythmus, dieser treibende, rollende Groove, der an eine Dampflok erinnert, die unermüdlich vorwärts strebt: Der Puls des Boogie Woogie, über dem atemberaubende Läufe liegen. Einer der Meister dieser temporeichen Spielart des Blues ist Axel Zwingenberger, der jetzt in der ausverkauften Harmonie zur Freude des Publikums mühelos über die Tasten flitzte. Der 60-Jährige, der in den Siebzigern zu jenen gehörte, die den Stil in Deutschland populär machten, nahm schon von der ersten Sekunde an Tempo auf, zelebrierte Klassiker wie „Pinetop's Boogie Woogie“ von 1928 (laut Zwingenberger das erste Stück, das jemals diesen Begriff im Namen trug), aber auch Eigenkompositionen etwa zu Ehren seiner Kinder oder Titel in Anlehnung an jene alten Eisenbahnen, die so gut zur Musik passen und die eine weitere Passion des gebürtigen Hamburgers sind. „Boogie spielen hat viel mit Reisen zu tun“, sagte Zwingenberger. Aber eben in der Regel auf eine mittlerweile antik wirkender Weise, mit der transsibirischen Eisenbahn etwa oder im Stil einer „Railway Nocturne“, schnaufend durch die Nacht.
Keine Frage, sein Instrument beherrscht Henrik Freischlader. Krachende Bluesrock-Soli, gerne in Überlänge, stellen für den 33-Jährigen ebenso wenig eine Herausforderung dar wie gut intonierte Gesangspassagen. Ja, er ist wieder da – das Aus für seine Band Ende 2014 war für den Sauerländer Gitarristen offenbar nicht mehr als ein Neuanfang. Mit dem frisch aus dem Presswerk kommenden Album "Openness" und seinem Trio (neben ihm noch Drummer Carl-Michael Grabinger und Bassist Alex Grube) ist Freischlader nun wieder in die ausverkaufte Harmonie gekommen, um seinen Fans das zu geben, was sie sich so sehnlich wünschen: Zweieinhalb Stunden orgiastischer Saitenspielerei. Technik vom Feinsten. Doch leider fehlt es an etwas Entscheidendem: der Seele.
Das war's. Aus, Ende, vorbei. So langsam lässt sich nicht länger darüber hinwegsehen, dass die Tage des Pantheons zumindest an ihem gewohnten Standort am Bundeskanzlerplatz gezählt sind. Am vergangenen Montag hat sich jetzt die Reihe "Jazz in Concert", die Organisator Thomas Kimmerle mit großem Erfolg im zum Kleinkunsttempel gehörenden Casino veranstaltet hat, mit einem Konzert Frederik Kösters und Sebastian Sternals von den langjährigen Fans verabschiedet. Ein würdiger, wenn auch anspruchsvoller und mitunter kratzbürstiger Abschluss.
Aufhören? Kommt für Herman van Veen gar nicht in Frage. Der selbst ernannte „holländische Clown mit der Glatze“ hat noch immer etwas zu sagen, will sich noch immer auf jene Weise mitteilen, die er schon sein ganzes Leben lang pflegt. Also musikalisch. In der Beethovenhalle hat der 71-Jährige nun sein neues Album „Fallen oder Springen“ vorgestellt (nach eigener Zählung der 179. Tonträger) und dabei bewiesen, dass er noch immer dieses beeindruckende Talent besitzt, feine kleine Melodien zu schreiben und kritisches Liedgut mit großer Absurdität zu vermischen.
Woran glauben wir? An Recht und Moral? Aber an welche? Wer sagt denn, was richtig ist und was verwerflich, was angemessen und was nicht? Alice Schwarzer etwa? Friedensnobelpreisträger Barack Obama mit seinen Drohnenkriegen? Der Papst? Oder vielleicht Gandhi, der sich bei all seinen friedvollen Lehren durchaus auch rassistisch gegenüber Afrikanern geäußert hat und somit zumindest in einigen Bereichen auch keine blütenreine Weste hat? Wer hat heute noch einen moralischen Kompass, der die Menschheit davon abhalten kann, zu einer Horde von an Mitteilungsinkontinenz leidender Online-Psychopathen zu mutieren, von denen jeder sich für den einzig wahren Propheten des schizophrenen Volkswillens hält? Schwere Fragen, denen Timo Wopp im Pantheon nachgeht. In seinem neuen Programm jongliert der 39-jährige Kabarettist mit political correctness, verkapptem Sexismus und dogmatischen Überzeugungen – und lässt dabei die einzelnen Bestandteile auch gerne mal auf den Boden der Tatsachen fallen. Oder ins Fettnäpfchen.
Alt trifft auf Jung, Free Jazz auf Bigband-Swing, Fliegenwalzer auf Doldinger-Groove: Das Konzert in der Philharmonie Köln anlässlich des 80. Geburtstags des Jazz-Trompeters und Komponisten Manfred Schoof erwies sich am vergangenen Samstag als ebenso vielseitig wie das musikalische Schaffen des Jubilars. Zahlreiche Weggefährten, darunter Klaus Doldinger, Emil Mangelsdorff, Pablo Held und Markus Lüpertz, feierten mit dem „großen Romantiker der Jazz-Avantgardisten“, einem der prägenden Köpfe der europäischen Musiklandschaft, der es sich nicht hatte nehmen lassen, sämtliche an diesem Abend aufgeführten Stücke – sofern sie nicht ohnehin aus der eigenen Feder stammten oder reine Improvisation waren – selbst zu arrangieren. Das Bundesjazzorchester (BuJazzO) als zentraler Klangkörper setzte diese Wünsche in herausragender Qualität um und erwies sich einmal mehr als exzellente Nachwuchsschmiede für junge Jazz-Talente, die immer wieder als Solisten in Erscheinung treten durften.
ber fehlenden Erfolg kann sich Gregor Pallast derzeit wahrlich nicht beklagen. Vor gerade einmal einem Jahr hat der 37-jährige Bonner seine ersten Schritte auf einer professionellen Kleinkunstbühne gemacht, jetzt hat er einmal mehr das Pantheon Casino bis auf den letzten Platz gefüllt und kann sich als politischer Kabarettist über eine Nominierung für den Prix Pantheon freuen. Insofern ist der Auftritt in gewisser Weise auch eine Vorbereitung, ein Warm-Up – und ein Ausprobieren neuer Ideen.