Der Sog ist stark. Sehr stark. Wenn Akua Naru an den Rand der Bühne tritt, ebbt das Publikum lachend zurück, nur um dann wieder wellengleich zurückzukehren und die Rapperin aus Köln mit Energie zu versorgen. Dann wieder gehen die Arme in die Höhe, wippend, wiegend, wogend, den Impulsen von der Bühne folgend und sie zugleich verstärkt zurückwerfend, bis die charmante Frontfrau nicht mehr weiß, wohin sie mit all dieser Kraft soll, die ihr an diesem Abend in der Harmonie entgegenfließt. Keine Frage, auch dieses Konzert des „Over the Border“-Festivals ist ein besonderes Erlebnis für Künstler und Publikum – und doch nicht ganz das, was es sein könnte. Denn mitunter suboptimale Abstimmungen im Hintergrund und eine schwächelnde Tontechnik verhindern, dass Akua Naru ihr ganzes Potenzial ausschöpfen kann.
Wenn eine ebenso irre wie geniale Gauklertruppe ohne Rücksicht auf Verluste Balkan-Beats und Tarantella, Hip-Hop und Gypsy mischt, sich zugleich einer babylonischen Sprachverwirrung hingibt und damit das Publikum völlig um den Verstand bringt, ist eine wilde Party garantiert. So wie jetzt in der Harmonie beim Besuch von La Caravane Passe. Das wahnwitzige Quintett, das anlässlich des „Over the Border“-Festivals in Bonn gastierte, hat sich das französische Sprichwort „Der Hund bellt, die Karawane zieht weiter“ („le chien aboie, la caravane passe“) offenbar zu Herzen genommen: Vom Gebell vermeintlicher Grenzwächter lässt es sich ebenso wenig aufhalten wie von Moralaposteln und Musikpuristen. Mit ihrem Kaleidoskop aus urbanen und folkloristischen Klängen, in dem lediglich das Wort „unmöglich“ unmöglich scheint, sorgen die weltoffenen Franzosen für eine grandiose Stimmung, die ihresgleichen sucht.
Behandlung gelungen, Patient rockt. Bei seiner musikalischen Sprechstunde in der Harmonie hat Dr. Feelgood dem Publikum einmal mehr eine ordentliche Dosis Blues und Rock 'n' Roll verabreicht, die selbst tote Männer wieder munter machen würde. Was für ein bemerkenswerter Sound, krachend, schnörkellos und irgendwie direkt aus den 70ern kommend, als die Originalbesetzung um Lee Brilleaux und Wilko Johnson noch aktiv war und die britischen Charts stürmte. Bemerkenswert deshalb, weil seine Wirkung nicht nachgelassen hat – und weil zumindest auf den ersten Blick eine derartige Energie nicht zu erwarten gewesen wäre.
In gewisser Weise ist Dave Matthews im Urlaub. Erstmal seit 25 Jahren hat der US-Songwriter seiner legendären Band eine Pause diktiert, hat sich selbst von dem immer gleichen Jamrock-Sound distanziert und sich insgesamt ein wenig reduziert. Vielleicht sogar zu sehr. Nur er und sein langjähriger Gitarrist Tim Reynolds sind derzeit auf Tour, im Gepäck die üblichen Titel in Akustik-Versionen, die unter anderem auch im Kölner Palladium erklingen und rund 3000 treue Fans in Ekstase versetzen. Ganz schlicht: Zwei Männer, zwei Gitarren, ein Song für jedes Jahr der DMB. Kann man ja mal machen. So lange es funktioniert. Was leider nur zum Teil der Fall ist.
Es war eine lange Nacht. Und eine wilde. Eine, die geprägt war von Tanzen, Jubeln, Feiern – und von Blasmusik, gespielt von einer abgedrehten Truppe in Krachledernen. Nein, hat nichts mit dem Oktoberfest zu tun. Das kann ja nur eins bedeuten: LaBrassBanda waren zum „Over the Border“-Festival gekommen, um mit ihrem Alpen-Techno dem Publikum einzuheizen. Das ließ sich nicht lange bitten. Mehr als 2000 Menschen waren am vergangenen Samstag ins Telekom Forum gekommen, so viele, dass der eigentliche Saal (abbaubaren Wänden sei Dank) kurzerhand um das Foyer erweitert worden war. Alles war vertreten, vom begierigen Partyvolk bis zur Kleinfamilie, die der Band aus Bayern zum zehnjährigen Bestehen gratulieren wollte. Doch wer nur deswegen den Weg nach Beuel auf sich genommen hatte, musste sich zunächst in Geduld üben – und durfte sich von einem Kölner Quartett begeistern lassen.
Was für ein Klangteppich! Farbenfroh, engmaschig und mit herrlichen, ineinander fließenden Mustern versehen birgt die Musik, die an diesem Abend im Telekom Forum erklingt, das Beste aus West und Ost. Klarinette und Nai, Harfe und Kanun, Klavier und Oud harmonieren perfekt, ergänzen sich, so als würden sie schon immer zusammen gehören. Töne und Melodien umgarnen einander, bringen orientalische Elemente in einen Wiener Kaffeehaus-Walzer oder Klezmer-Phrasierungen in eine Sufi-Interpretation und erscheinen doch nur als logische Ergänzungen einer Musik, die ganz auf Grenzen verzichtet und dafür mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Begeisterung bedacht wird. Was die beiden Formationen Quadro Nuevo und Cairo Steps hier im Rahmen des Festivals „Over the Border“ präsentieren, ist nicht weniger als die ideale Synthese zweier Kulturkreise, die nur auf den ersten Blick Welten trennt – und die letztlich aus einem Dialog nur voneinander lernen können.
Manchmal zählt auch der zweite Eindruck. Der, der sich erst nach ein paar Minuten bildet, nachdem die Faszination des Neuen abgeklungen ist und man einen Blick hinter die Maske werfen kann. Manchmal ändert das alles. So wie am vergangenen Donnerstag. Das Urteil über den zweiten Abend des aktuellen WDR-Crossroads-Festivals in der Harmonie schien schnell gefällt: Hier ein bärtiger Zausel mit verhaltenem Soul-Pop und einigen unscheinbaren Kollegen, dort fünf charmante Damen mit krachendem Rock und jeder Menge Enthusiasmus. Klar, wer da eher zu überzeugen wusste. Zumindest optisch. Doch nach jeweils einer Viertelstunde wurde so langsam klar, dass das nicht ausreichte. Der erste Eindruck täuschte. Und der zweite gewann.
So etwas hat der Kammermusiksaal im Beethovenhaus wahrscheinlich noch nie zuvor erlebt: Ausgelassen tanzende Menschen, singend, klatschend, jubelnd, bei wilden afrikanischen Rhythmen alle Hemmungen fallen lassend und einfach nur die Musik genießend. Das Konzert der malischen Sängerin Fatoumata Diawara, das das von Manuel Banha organisierte Weltmusikfestival „Over the Border“ eröffnet, bringt diesen sonst der Klassik vorbehaltenen Raum in neue Sphären und ignoriert somit nicht nur geographische, sondern auch gedankliche Schranken. Ein stärkerer Auftakt wäre kaum denkbar gewesen, zumal Diawara bei aller Feierlaune ernste Botschaften im Gepäck hat.
„Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen“: So stolpern zwei eigentlich hochintelligente Figuren über die Bühne. Warum? Keine Ahnung. Wahrscheinlich weil das einfach dazu gehört, wenn Geisterjäger John Sinclair in einem Programm des Vollplaybacktheaters erscheint und sich bei einem mysteriösen Fall die Unterstützung von Chefdetektiv Justus Jonas sichert. Immerhin spielt das Wuppertaler Ensemble, das deutschlandweit längst Kultstatus besitzt, leidenschaftlich gern mit populären Zitaten aus allerlei Hörbuch- und Filmproduktionen und persifliert diese bis zum Exzess. Im Bonner Brückenforum hat das Vollplaybacktheater sich nun des Drei-???-Klassikers „Der grüne Geist“ angenommen, echte Spuk- und Horrorgestalten hinzugefügt und die ursprüngliche Handlung komplett ad absurdum geführt. Ein Ansatz, der immer noch funktioniert – auch wenn das Ensemble es diesmal ein wenig übertreibt.
Alle Arme wippen im Beat. Tausende sind es, die auf und ab gehen und in der Lanxess Arena ein bisschen wie die Tentakel einer gigantischen Hip-Hop-Anemone wirken. Auf und ab, auf und ab, auf und ab zum kollektiven Gruß in Richtung Bühne, um eine der wohl berühmtesten und prägendsten deutschen Rap-Crews zu würdigen. Dort, an den Stufen einer Pyramide aus Licht, springen Denyo und Eizi Eiz (den viele eher als Jan Delay kennen) umher, so als ob es die vergangenen 13 Jahre nicht gegeben hätte, in denen die Beginner Funkstille bewahrt hatten und in denen sie, so zumindest das Urteil vieler Kritiker angesichts der neuen Platte „Advanced Chemistry“, ihren Schwung verloren hätten. Nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu melden.
Alles, nur keine Eintönigkeit: Darauf legt Carl Carlton diesmal besonders großen Wert. Der ursprünglich in Ostfriesland geborene Gitarrist, der schon mit Künstlern wie Robert Palmer, Joe Cocker, Eric Burdon und Paul McCartney gearbeitet hat und hierzulande vor allem als Komponist und Produzent von Peter Maffay und Udo Lindenberg bekannt geworden ist, hat sich für sein Konzert in der Harmonie etwas Besonderes überlegt. „Ich will heute Abend Stücke spielen, in denen noch die ursprünglichen afrikanischen Rhythmen zu spüren sind, die Blues und Rock n' Roll geprägt haben“, sagt er.
Irgendwann tanzen alle. Ausnahmslos alle. Wippen, springen, wedeln zu Reggae- und Ska-Rhythmen, zu Saxofon- und Trompeten-Einwürfen, zu Weltoffenheitsaufrufen und zu Blätterhymnen. Kein Zweifel, Jamaram haben bei ihrem ersten Bonner Konzert den richtigen Nerv getroffen. In der Harmonie herrscht Partystimmung, während die Band aus München der Menge einheizt und diese zugleich immer wieder mit einbindet, bis die sonst üblichen Grenzen zwischen Musikern und Publikum zu verschwimmen beginnen. Mitsingen wird zur Selbstverständlichkeit, was vor allem Frontmann Tom Lugo begeistert ausnutzt, einigen Fans immer wieder das Mikrofon unter die Nase hält oder sie – wie im Falle einer charmanten jungen Frau mit schöner klarer Stimme – kurzerhand auf die Bühne holt. Herrlich.
Es ist eine Rückkehr in eine Zeit, als die Welt noch in Ordnung schien, als der deutsche Schlager noch das Gemüt beruhigte und ein heimeliges Familienbild stützte, das längst nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hatte: Im Pantheon haben zwei Drittel der Geschwister Pfister, Toni (alias Tobias Bonn) und Ursli (alias Christoph Marti), zum wiederholten Male die 70er Jahre auferstehen lassen und einigen der größten Ikonen der Nachkriegsunterhaltung mit liebevollem Augenzwinkern neues Leben eingehaucht. Die Bühne mit Chippendale-Kneipe und zwei Hinterzimmer-Garderoben trieft vor opulentem Kitsch, die überzuckerte Musik sowieso – und doch ist das Bild stimmig und passend für die große Peter-Alexander-Show, die an diesem Abend das Publikum unterhalten soll. Was dank der perfekten Mischung aus Nostalgie, Parodie und Hommage hervorragend funktioniert.
Auf die ganz tiefen Gefühle versteht Stephan Sulke sich am Besten. Wahrhaftige Liebe etwa, oder mitternachtsblaue Melancholie, von dem altgedienten Liedermacher in schmerzlich-schöne Klänge gebettet und von einer Intensität durchdrungen, die nur wenige Künstler in Töne fassen können. Einst gab es dafür den unerreichten Jacques Brel, aber heute? Tim Fischer sicherlich, der seine Seele bloßlegt und die Zuhörer ganz tief in den Hort der Sehnsucht eintauchen lässt – und eben Sulke, der eher für ein wohliges Gefühl sorgt, einem Kaminfeuer gleich, das alle Anspannung vertreibt und das Herz sich öffnen lässt. Im Haus der Springmaus hat er nun einmal mehr sein Publikum gerührt und bewiesen, dass er mehr ist als ein „verwelkter, Schnulzen singenden Poet“, wie er einst selbstironisch über sich dichtete.
Blues muss nicht immer dreckig sein, nicht immer erdig, rau und urtümlich. Manchmal darf der gute alte Zwölftakter auch kristallklar durch den Raum jagen, ist zwar in seiner geschliffenen Form mehr dem Rock zugewandt, aber dadurch nicht weniger gut. Nur eben anders. Welche Höhenflüge auf diese Weise möglich sind, haben jetzt Ben Poole und King King gezeigt, die in der Harmonie mit einem virtuosen Doppelkonzert zu überzeugen wussten. Denn unter der scheinbar zahmen Fassade lauerte noch mehr als genug Wucht, um das Publikum mehr als zufriedenzustellen.
Kommunisten und Nazis, Festischliebhaber und willige Sklaven, Täter und Opfer: Jürgen Domian hatte sie alle in der Leitung. Er, der für viele Menschen wahlweise Ratgeber, Beichtvater oder Mutmacher war, ein Humanist mit viel Gefühl und noch mehr Offenheit, der ebenso als Stimme des Gewissens wie als teilnahmsvoller Zuhörer fungieren konnte. Im Dezember hat der beliebte Moderator nach 22 Jahren seinen nächtlichen Telefontalk beim WDR Fernsehen und bei 1Live für aus gesundheitlichen Gründen eingestellt; nun ist Domian gewissermaßen auf Abschiedstour. Diesmal in einer anderen Rolle, als Erzähler, der sich an all die Absurditäten und die Tragödien erinnert, an denen er teilhaben durfte. Seine Fans lassen sich das natürlich nicht entgehen. Gleich an zwei Abenden füllt er etwa den großen Saal des Pantheons – und hat dabei dem Publikum die Möglichkeit gegeben, noch ein letztes Mal mit ihm in Kontakt zu treten.
Die Stimme ist ein Traum. Glockenhell und zugleich unglaublich warm, strahlend die dänischen Verse umschmeichelnd – kein Wunder, dass Helene Blum zu den besten Sängerinnen ihrer Heimat gezählt wird. Nun hat die charmante Blondine zusammen mit dem Violinisten Harald Haugaard und einer vielsaitigen Band auch die Harmonie erobert und verzaubert. Ihre Magie: Fein differenzierter Folkpop, der sich mal dem Jazz annähert und dann wieder an das Singer-Songwritertum anschmiegt, dabei luftig arrangiert und trotz mancher Frühlings-, Liebes- und Abschiedsverse völlig vom Kitsch befreit. Ein Genuss, der seinesgleichen sucht.
Am Ende ist der Mensch. Irrelevant, nebensächlich, ein nachträglicher Gedanke. Der Homo sapiens mit seiner Moral und seinen Werten spielt doch in der Weltgesellschaft längst keine Rolle mehr. Andere Aspekte sind viel wichtiger. Das Geld zum Beispiel. Und die Wirtschaft. Und Autos, Waffen, Glaube und das große Fressen. Man muss schließlich Prioritäten setzen, auch wenn dabei die Menschlichkeit verloren geht. So ist der Lauf der Dinge, und nur wenige versuchen, den Kampf gegen die Windmühlen aufzunehmen und die Dinge zumindest beim Namen zu nennen.
Sie können es also doch noch. Nachdem Basta, mittlerweile eine der dienstältesten a-cappella-Boygroups Deutschlands, zuletzt nicht wirklich auf der Höhe war und mit peinlichen Auftritten in den trüben Untiefen der Musik-Comedy nach leicht verdienter Zustimmung fischte, scheint das Kölner Quintett samt seinem neuen Mitglied Hannes Herrmann wieder auf dem aufsteigenden Ast zu sein. Vor allem die Songs des neuen Albums „Freizeichen“, das die Band jetzt im Pantheon vorgestellt hat, verströmen einen Hauch von Hoffnung, verfügen mitunter sowohl über clevere Texte als auch über spannende Arrangements und neutralisieren so die gelegentlich überbordende Blödelei, die sich dann doch noch ein ums andere Mal in die Show verbeißt.
„Wisst ihr, warum ich der Catfish bin?“, fragt Popa Chubby und lacht. „Weil ein Catfish ein richtig schwerer Brocken ist, und der Chef in seinem Fluss.“ Attribute, die der massige Gitarrist ohne mit der Wimper zu zucken auch für sich selbst beansprucht. Zumindest an diesem Abend hat er damit Recht: In der ausverkauften Harmonie, wo der 56-Jährige seit 1995 regelmäßig auftritt, will ihm keiner seinen Platz streitig machen. Ganz im Gegenteil. Wenn es nach der Menge geht, könnte er ruhig immer weiter auf der Bühne thronen und sich in seinen orgiastischen Soli verlieren, diesen scheinbar nie enden wollenden Eskapaden zwischen Blues, Jazz und Rock, in denen Popa Chubby seinen Vorbildern huldigt, mal Steve Morse zitiert, mal Jimmy Page und dann wieder Wes Montgomery, ohne dabei den Kontakt zum klassischen Zwölftakter in seiner dreckigsten Form zu verlieren.
Zwei, die sich gefunden haben – und zwei, die sich wieder verlieren. Um diesen Kosmos aus Glück und Enttäuschung drehen sich nahezu alle Texte der Berliner Indiepop-Formation Die Höchste Eisenbahn, die mit ihren charmanten, melancholisch dahingeträumten Liedern derzeit in der ganzen Bundesrepublik die Herzen der Fans erobern. Nicht zuletzt, weil sie so authentisch wirken, so lebensfroh und doch auch so verletzlich. Zwei, die sich gefunden haben, das sind immerhin auch die beiden Singer-Songwriter-Zugführer Francesco Wilking und Moritz Krämer, scheinbare Gegensätze und wahrhaftige Seelenverwandte. Der hemdsärmlige Bio-Wuschelkopf und der Posterboy, die gemeinsam mehr sind als die Summe der einzelnen Teile (um einfach mal die Band Kante zu zitieren). Auch in der Harmonie haben die Eisenbahner nun für Stimmung gesorgt und mit ihrem jungen, zum Teil extrem textsicheren Publikum ausgelassen gefeiert.
Eine größere Ehre hätte man Mitch Ryder wohl kaum erweisen können: Als erster noch lebender weißer Musiker wird der 72-Jährige im Juni 2017 in die Rhythmn and Blues Hall of Fame aufgenommen. Die Krönung eines Lebens voller Höhen und Tiefen für einen Künstler, der felsenfest im Blues verankert ist, ihm alles opfert und auch nach dieser Auszeichnung regelmäßig auf der Bühne stehen möchte. Ruhestand? Nicht für ihn. Seit 42 Jahren tourt Ryder immer wieder durch Deutschland, macht am liebsten in einigen speziellen Clubs Station, die einen besonderen Platz in seinem Herzen einnehmen. Die Harmonie gehört dazu. Am vergangenen Sonntag war er zusammen mit der Berliner Bluesrockband Engerling, seit 1994 seine feste Begleitband in Europa, einmal mehr in Endenich zu Gast und bewies mit einem eindrucksvollen Konzert, dass der Zenit zwar erreicht, aber noch lange nicht überschritten ist.
Eine kleine Dosis Wahnsinn gehört beim GOP einfach dazu. Sie ist der Pfeffer des Erfolgsrezepts, ein Schuss Gaga für den artistischen Kessel Buntes. Beim neuen Programm „Karussell“, das am vergangenen Freitag in der Bonner Niederlassung des Varieté-Unternehmens seine Premiere feiern konnte, hat das normale Maß allerdings nicht ausgereicht. Zum Glück. Schräg, verrückt und vor allem unglaublich herrlich erweist sich die Show als Fest für die Lachmuskeln, als exzellente Mischung aus gnadenlos komischer Clownerie und Akrobatik auf höchstem Niveau, die dank einer Chaostruppe mit sichtlichem Vergnügen an allerlei Albernheiten ein ganz besonderer Genuss wird.
Immer wieder anders und immer wieder eine Einheit: Das zeichnet das Matthias Bergmann Quintett aus. Beim umjubelten Auftritt im Rahmen der Dottendorfer Jazznacht konnten die fünf Musiker dies einmal mehr unter Beweis stellen. Mal mit herrlich orientalischem Touch bei „Zabriskie Life“ (der schönsten und spannendsten Komposition des Abends), dann wieder groovend oder explodierend stürmte die Formation durch alte und neue Kompositionen, ohne sich zu verheddern – oder allzu sehr von den anderen zu entfernen.
In den vergangenen Jahren hatte der traditionelle Politische Aschermittwoch im Pantheon ein Glaubwürdigkeitsproblem. „Klare Töne zum politischen Geschehen sind obligatorisch“, propagierte der Kleinkunsttempel immer wieder – und hatte zuletzt immer wieder Künstler zu Gast, die auf diese Vorgabe pfiffen, den Abend als beliebige Mixed Show verstanden und ihn so vollständig seiner ursprünglichen, historisch gewachsenen Form beraubten. Diesmal aber sollte alles anders sein. Zumindest teilweise. Denn tatsächlich bemühten sich alle Akteure, in mindestens einem Auftritt der ihnen gestellten Aufgabe gerecht zu werden. Was mal mehr, mal weniger gut gelang.
Der Wandel ist derzeit ein beständiger Begleiter Annett Louisans. Eine neue Tour, neue Songs und ein „kleiner Passagier“ halten die charmante Chanteuse ganz schön auf Trab und sorgen doch offenbar für ein nicht enden wollendes Glücksgefühl. In der Philharmonie Köln, wo sie ihre aktuelle Konzertreise am Veilchendienstag begann, hat die 39-Jährige nun mit der ihr eigenen Mischung aus Pop, Chanson und Liedermachertum auf ihre Weise das Leben gefeiert – und dabei sowohl in sich selbst als auch im Publikum viele Emotionen an die Oberfläche gebracht.
Irgendwer muss es ja mal sagen: Die Welt ist verrückt. Irre. Gaga. Da werden Zäune aufgestellt, um das Leid anderer nicht sehen zu müssen, ist die Verbindung zum Netz wichtiger als die zum Partner und Gott (neben der Demokratie) die beste Ausrede für Terror und Krieg. Daran muss man doch einfach verzweifeln. Oder zumindest mit dem Kopf schütteln. Ach Mensch. Warum machst du das bloß? Diese Frage stellt sich das Liedermacher-Duo Simon & Jan schon länger, ohne einer Antwort näher gekommen zu sein. Doch immerhin haben die beiden Oldenburger es geschafft, ihren Weltschmerz in feine Verse zu gießen, die mit etwas Glück auch ihr Publikum von der Last unausgesprochenem Leidens befreien. Ein kathartisches Konzert, das im restlos ausverkauften Pantheon gerne mal mit „Halleluja“-Rufen quittiert wird. Oder einem Deichkind-Zitat: „Leider geil“.
Irgendwie ist das Alter nie das richtige. Mit 20 hat man noch keine Ahnung, mit 60 sieht man schon den Schnitter im Spiegel grinsen – und mit Mitte 40 ist auch alles schwierig. Zu jung für eine Midlife-Crisis und zu alt für eine Youtube-Karriere. „Ich rede mit meinen Kumpels mehr über Krankheiten als über Frauen“, kommentiert Guido Fischer dies. Zusammen mit seinem langjährigen Bühnenkollegen Björn Jung erörtert er in dem neuen Programm „Innen 20, außen ranzig“ die Tücken die Tücken eines Lebensabschnitts, in dem man zum letzten Mal die Chance hat, sich neu zu erfinden. Insofern stehen wichtige Fragen an: Ist die Aqua-Gymnastik die richtige Freizeit-Beschäftigung? Hilft Meerrettich beim Nachspielen des Films „9½ Wochen“? Ist ein McDonalds-Besuch mit Mutti wirklich ein erstrebenswertes Ziel im Leben? Und was ist für das eigene Wohlbefinden besser, Frottee oder Latex? Im Haus der Springmaus haben Fischer und Jung nun in einer Vorpremiere ihre Pointen getestet – und dürften mit dem Ergebnis eigentlich sehr zufrieden sein.
Ein Bogen streicht übers Becken, einen Schrei zu imitieren versuchend; eine Röhre erzeugt Glockenschläge; zudem Pauken, Rasseln, feine Marimbaphon-Musik und Klänge aus der Loop-Station. Dazwischen gelesene Passagen, virtuos gedrechselte, mitunter anstrengend und doch bildgewaltige Kapitel aus einem Jahrhundertroman. Grass. „Die Blechtrommel“. Doch ausgerechnet eine Snare bleibt an diesem Abend in der Oper Bonn unberührt. Sie symbolisiert jenes in beständigem Protest geschlagene Instrument, das zu spielen das Vorrecht des Protagonisten Oskar Matzerath ist – und während Schlagwerker Stefan Weinzierl gerne das gesamte ihm zur Verfügung stehende Equipment nutzt, um die Handlung des Buches in Töne umzusetzen, überlässt er doch alles, was mit dem ungewöhnlichen Jungen zu tun hat, ganz bewusst den beiden Vorlesern: Dem Rezitator Clemens von Ramin und der aus dem „Tatort“ hinlänglich bekannten Schauspielerin Ulrike Folkerts.
Am Anfang, so erklärt es eine Video-Einblendung, explodiert ein Planet. Seine Bewohner, androgyne Außerirdische, sind daraufhin zur Erde geflüchtet und versuchen, sich anzupassen. Eine neue Realität, eine neue Wahrnehmung gilt es zu erkunden, eine Illusion von Menschlichkeit aufrecht zu erhalten. Ist das also der „Bluff“, um den sich die gleichnamige Choreographie von Helene Weinzierl dreht? Oder ist es gerade diese Exposition, die in die Irre führt? Im Theater im Ballsaal, wo die Kompanie cieLaroque Weinzierls Werk zum Abschluss des internationalen Tanzfestivals „Into The Fields“ aufführt, wird dies nicht so wirklich klar – vielleicht auch deshalb, weil offensichtlich ein Teil der Performance fehlt.
„Party On, Fred!“ Mit diesem zugegebenermaßen zweckentfremdeten „Wayne's World“-Zitat ist eigentlich alles gesagt. Wenn Fred Kellner mit seinen Soul-Brüdern, -Schwestern und -Nichten in die Harmonie kommt, die Horny Horny Horny Horns und die SuperSonic Silver Strings sich dem Funk hingeben und Sänger in gleißendem Weiß der Menge einheizen, ist jeder Gedanke an etwas anderes als wilde musikalische und tänzerische Ekstase eigentlich hinfällig. Die Harmonie ist erwartungsgemäß gerammelt voll, begeisterte Jünger erwarten sehnsüchtig die Botschafter der guten Laune.
Mit Skalpellen hat Max Uthoff nichts am Hut. Wozu auch? Zwar will der Chef der „Anstalt“ gerne mal den ein oder anderen Themenkomplex aufschneiden und von innen betrachten, doch ein Schlachtfest ist ihm ebenfalls nicht fern. Nein, Uthoff schwingt kein Skalpell. Eher ein Jagdmesser oder eine Machete, mitunter auch eine Sense, vor allem wenn es gegen die Schar von Politikern, Lobbyisten und Bänkern geht, die der 49-Jährige mit Wonne ummäht und in ihre Einzelteile zerlegt. Seit Jahren geht er gegen alles und jeden vor, jagt das Berliner Freiwild mit verbaler Anmut und rasiermesserscharfer Eloquenz und lässt dabei an niemandem ein gutes Haar. So auch im Pantheon, wo Uthoff einmal mehr Blut leckt – und dabei mitunter die Orientierung verliert.
Das Publikum tobt. Natürlich. Mehr als 15.000 Besucher in der Lanxess Arena jubeln den Kings of Leon frenetisch zu, wollen mehr von dem blaublütigen Rock, feiern die drei Brüder Followill und ihren Cousin gleichen Nachnamens beim Auftakt ihrer Europatournee mit all den so klischeehaften Manierismen. Arme winken, Kleidungsstücke fliegen, glänzende Augen und noch stärker leuchtende Handys strahlen scheinwerfergleich in Richtung der Bühne, während das US-Quartett mit „Sex On Fire“ einen seiner größten Hits spielt.
Morgens haben sie sich kennengelernt, Abends direkt ein Duo-Konzert gespielt: Das erste Zusammentreffen von Michael Wollny und Vincent Peirani vor nunmehr fünf Jahren muss Liebe auf den ersten Ton gewesen sein. Und auch wenn die beiden seitdem viel miteinander musiziert und in unterschiedlichen Besetzungen alle Facetten ihres Könnens offengelegt haben, ist dieses Gefühl nicht einer Routine gewichen. Ganz im Gegenteil: In der Kölner Philharmonie, in der Deutschlands derzeit populärster Jazzpianist einmal mehr auf den französischen Ausnahme-Akkordeonisten trifft, erweist sich der intime Tanz der Melodien, das gegenseitige Anregen und Anstacheln zu wilden Eskapaden und das elegische Versinken in Klangfluten als emotionales Spiel zweier vertrauter und doch beständig neugieriger Seelen.
Die Darmbakterien sind an allem schuld. Ja sicher! Forscher wollen schließlich herausgefunden haben, dass dieses Mikrobiom genannte Kollektiv einen beträchtlichen Anteil an der Steuerung des Körpers hat, fast schon eine Art zweites Gehirn darstellt – und wenn man sich so manche Extremisten und Reichsbürger anschaut, scheint das gar nicht weit hergeholt. Zumindest behauptet dies Dieter Nuhr, der im WCCB vor mehr als 3000 Besuchern Aufklärungsarbeit betreibt und vor der Fremdbestimmung warnt. Der durch den Unterleib ebenso wie der durch intelligente Kühlschränke oder einen Staat, der selbst die Sprache reglementiert. Political Correctness? Gender Studies? Ist doch alles für den Darm. Und zumindest Dieter Nuhr wird das ja wohl noch sagen dürfen.
Überall so seltsame Gestalten. Stinkende Käfer der mobilen Sorte, emotional instabile Fasteleertiere und sogar ein aggressives Exemplar der Gattung Homo Pegidanensis trampeln durch den urbanen Bonner Urwald. Doch bei der Expedition der Kindernasensitzung Papperlapapp entdecken die Jugendlichen, die sich gegen das Gesetz des Dschungels wehren und wie üblich alles wortgewandt kommentieren, was ihnen vor die verbale Flinte kommt, auch viel Gutes. Allen voran die Satiere, eine seltene Gattung spitzzüngiger Primaten. Und Clowns. Und Partyschiffe. Gemeinsam mit ihnen stellen sich die Papperlapappen in der Harmonie gegen die zunehmende Abholzung der Kulturlandschaft und die Überwucherung der Freude durch Verrohung und Egoismus. Wenn das nicht reicht, was dann?
Wenn die Blümchenknicker aufspielen, gibt es kein Halten mehr: Die „Weltdorfmusik“ mit ihrer besonderen Mischung aus Reggae, Funk, Polka, Folk, Balkan-, Swing- und Gypsy-Klängen, die das Bonner Kollektiv ganz im Stil der 17 Hippies bei seinen Konzerten immer wieder neu zusammenrührt und mit jeder Menge Leidenschaft garniert serviert, geht unweigerlich in die Beine. Und von da übers Herz bis in den Kopf. Jetzt hat sich die elfköpfige „Mucketruppe“ um Frontmann Bender Corleone Flowers die Brotfabrik vorgenommen – und besprengt die zahlreich gekommenen Fan-Pflänzchen wie gewohnt mit guter Laune, fetzigen Rhythmen, frechen Melodien und natürlich der ein oder anderen Sprühladung Wasser.
Nebel wabert über dem mulchigen Boden. Ein nackter Mann suhlt sich im Dreck, befreit von den vergessenen Utopien der Stadt und vom Gestank gestorbener Sehnsüchte. Ein Aussteiger. Ein Gesuchter. Vielleicht auch ein Verlorener. Auf jeden Fall aber das Ziel von Privatdetektiv Gordon Pritchet (Manuel Zschunke), der in Alexander Eisenachs Stück „Der Zorn der Wälder“ aus der Feder von der verführerischen Emma Carsons (Lara Waldow) beauftragt wird, ihren verschwundenen Ehemann Henry (Daniel Breitfelder) zu finden. Eigentlich eine leichte Aufgabe. Doch natürlich steckt mehr dahinter, wie sich in der Uraufführung auf der Werkstatt-Bühne des Theater Bonn herauskristallisiert. Und so wagt sich Pritchet, der urbane Schnüffler, in die sumpfig-düstere Natur, in der Sozialterroristen Befreiungspläne schmieden, weil sie das Vertrauen in vom Kapitalismus überwuchterte demokratische Prozesse verloren haben. Der einsame Wolf als Verteidiger einer gesichtslosen Gesellschaft, die er doch selbst kritisiert.
Alles ist eine Lüge. Die Amnesie, die Krimiautor Gilles (Hanno Dinger) zu haben behauptet. Das Bild, das seine Frau Lisa (Charlotte Welling) von ihm zeichnet. Die Ehe, die sie seit 15 Jahren führen und die doch nur zu einer Entfremdung geführt hat, an der beide auf ihre Art und Weise leiden. Und die Liebe? Ist zumindest sie hinter all diesen alternativen Wahrheiten real? Oder ist auch sie ein Opfer der „Kleinen Eheverbrechen“ geworden? Im Euro Theater Central hat sich Regisseurin Gabriele Gysi nun dieses Stoffes aus der Feder von Éric-Emmanuel Schmitt angenommen und ihre beiden Schauspieler Charlotte Welling und Hanno Dinger in ein bemerkenswertes Spannungsfeld geworfen: Auf der einen Seite herrscht eine emotional aufgeladene Bildsprache vor, auf der anderen ein fast schon klinisch analytischer Ton, mit dem sämtliche Illusionen seziert und entkernt werden. Ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz – der doch zugleich zu der größten Schwäche der Inszenierung wird.
Ein bisschen Nostalgie darf schon sein an diesem Abend. Muss sogar. Immerhin verabschiedet sich gerade ein Mann, der allein mit seiner Gitarre und seinen mitunter bissigen und dann wieder überaus zärtlichen Liedern Generationen geprägt hat. Nach mehr als 50 Jahren als beständig wandernder Barde will sich Hannes Wader 2018 endgültig von der Bühne zurückziehen, will nicht länger so leben wie es sein berühmtestes Lied „Heute Hier, Morgen Dort“ andeutet. Doch an einer letzten Tour kommt auch er nicht vorbei. Und so steht er nun im bis auf den letzten Platz gefüllten Brückenforum, ein in Würde ergrauter Mahner und Romantiker zugleich, einer der ganz Großen seiner Zunft, um einmal mehr seine Stimme zu erheben und die Welt vielleicht nicht besser, aber zumindest schöner zu machen.
Es ist mal wieder an der Zeit: Jahr für Jahr zieht Thomas Rufs Blues Caravan durch die deutschen Lande, um den Zwölftakter in all seinen Spielarten zu feiern, immer mit neuer Besetzung und in der Regel gerade deswegen so reizvoll. So auch jetzt wieder in der Bonner Harmonie. Denn auch wenn diesmal der Name nur bedingt Programm ist, gibt es einiges zu entdecken, darunter eine junge Saxofonistin mit viel Feuer, einen Ausnahmesänger mit tiefen Wurzeln – und eine Gitarristin, die man nur auf den ersten Blick unterschätzt.
Hier Männer, die offenbar planlos durchs Leben stolpern, da Frauen, die beständig kreischend in einer beständigen Metamorphose zwischen Hexe, Huhn, Luder und Furie gefangen zu sein scheint: Die drei Choreographien aus den beiden Zyklen „Hom“ und „Fam“ des Ensembles tanzmainz, die die diesjährige Ausgabe des Internationalen Tanzfestivals „Into the Fields“ im Theater im Ballsaal eröffnen, greifen ganz tief in die Kiste mit den klischeehaften Rollenbildern und setzen diese in einer Mischung aus schrillen und grotesken, mitunter sogar überaus lustigen Ansätzen in Szene. Keine leichte Kost, zumal mitunter gar gängige Vorstellungen vom Tanz dekonstruiert zu werden scheinen. Doch am Ende kann man sich doch mit den Arbeiten anfreunden – nicht zuletzt dank eines ebenso herzhaften wie augenzwinkernden meditativen „Ohms“.
Einfach die Flügel ausbreiten und den Problemen davonfliegen. Ach, das wäre mitunter schön. Viele Menschen träumen von dieser Möglichkeit, um die herum der Jazzchor der Uni Bonn nun seine drei Semesterabschlusskonzerte gestaltet hat. In der aus allen Nähten platzenden Trinitatiskirche, in der der Andrang offenbar alle Erwartungen sprengte, präsentierte das von Jan-Hendrik Herrmann geleitete Vokal-Ensemble Lieder voller Sehnsucht und Freiheitsstreben, mal getragen und dann wieder swingend – und bewies dabei, dass es sich hinter den Platzhirschen BonnVoice und Bonner Jazzchor nicht verstecken muss.
Ein Zyniker, so betont es Peter Rübenbauer gerne mal, ist ein Mensch, der von allem den Preis kennt und von nichts den Wert. So wie Donald Trump. Oder viele, viel zu viele Akteure in der EU. Kein Wunder, dass die sich im Kreis dreht. Oder schlimmer noch: In einer Spirale, die nach unten weist. Wenn alle nur an sich selber denken und mittlerweile mit allen Mitteln versuchen, jene Grenzen wieder zu errichten, die man zuvor mühselig überwunden zu haben glaubte, nur um „den Fremden“ nichts gönnen zu müssen, dann bricht auseinander, was zusammen gehört. „Die AfD will sogar eine Grenze zu Österreich ziehen – wobei ich mich wundere, dass es so etwas in deren Weltbild überhaupt gibt“, kommentiert der ehemalige EU-Beamte für Kreisverkehre, der nach einem Unfall an einer Haltestelle im Grenzgebiet des Jenseits ausharren muss und dort so einige Schreckgespenster antrifft, die ihre Positionen zu Europa zum Ausdruck bringen – und dadurch fast kinskieske Reaktionen hervorrufen. Von denen es ruhig mehr geben dürfte.
Kritiker haben Shakatak immer wieder vorgeworfen, doch nur Fahrstuhlmusik zu machen. Easy-Listening-Pop mit Jazz-Elementen und einem Funk-Bass, melodisch sehr gefällig und in etwa so aufregend wie ein ruhig dahinplätschernder Fluss. In der Harmonie hat die britische Band, die in den 80ern einige Charterfolge aufweisen konnte, nun den Abschluss ihrer aktuellen Tournee gefeiert – und zugleich bewiesen, dass besagtes Urteil durchaus zutreffend ist. Ja, Shakatak zelebriert durchaus eine Art Tanztee-Funk. Dies allerdings auf eine technisch ausgeklügelte Art und Weise.
Ein ganz schön großer Name für eine erst vor einem Jahr zusammengewürfelte Band. Blues Giants. Das ist mal selbstbewusst. Und doch gar nicht so unberechtigt. Denn auch wenn die Bandmitglieder den Rang von Giganten bislang nicht erreicht haben, steht doch außer Frage, dass sie allesamt in der Spitzenklasse mitspielen können. Was sie bei ihrem Konzert in der Harmonie auch mit Nachdruck beweisen. Zwei Ausnahmegitarristen, ein exzellentes Rhythmus-Duo und ein sowohl körperlich als auch stimmlich enorm beweglicher Sänger zelebrieren den Blues ebenso kraftvoll wie ehrlich, sprechen Herz, Seele und Beine gleichermaßen an und sorgen so für einen Genuss der besonderen Art.
So viele Premieren auf einen Streich hat es in der Geschichte der Reihe „Quatsch keine Oper“ noch nie gegeben: Das Konzert der legendären finnischen a-cappella-Gruppe Rajaton, die in Bonn den Auftakt zu ihrer Jubiläumstour anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens feierte (1. Premiere) und dabei erstmals auf der Opernbühne der Bundesstadt stand (2. Premiere), wurde von Neuheiten, Experimenten und bisher ungehörten Paarungen dominiert. Und natürlich von großartigem Gesang. Sowohl von Rajaton als auch von ihren Gästen. Denn sowohl BonnVoice als auch Wise-Guys-Sänger Eddi Hüneke setzten im Vorprogramm bemerkenswerte Akzente.
Schärfer als Wasabi, prickelnder als eine Flasche Champagner, heißer als ein orgiastisch eruptiver Vulkan: Evi und das Tier haben mit ihrer erotischen Show „Let's Burlesque“ das bis auf den letzten Platz gefüllte Pantheon für einen Abend in einen ebenso verführerischen wie vergnüglichen Sündenpfuhl verwandelt, einen Ort, in dem alles erlaubt zu sein scheint, was erregt und verführt. Mieder fliegen, Schampus spritzt, nackte Haut trifft Glanz und Glitzer, all das mit einem herzhaften Augenzwinkern. Und Klasse. Sehr viel Klasse. Denn Miss Evi und ihrer achtköpfigen Truppe geht es weniger um die Lust an sich als vielmehr um das Spiel mit selbiger, um das kecke, kokette, frivole und wunderbare Jonglieren mit Emotionen in einer sämtliche Schubladen zerbrechenden Bühnenwelt. Das ist die Art von Burleske, die die Maîtresse de Plaisir mit der phänomenalen Stimme und dem bewusst überzeichneten Auftreten pflegt. Was vor allem für eins sorgt: Jede Menge Spaß.
Springen, stehen, gehen, heben, tragen, tanzen: Die Bewegungsfähigkeit des menschlichen Körpers ist ein Wunderwerk der Evolution. Um diesem Potenzial ein Denkmal zu setzen, haben die Mobilés, die in der jüngsten Vergangenheit in Bonn vor allem mit ihrem Schattentheater „Moving Shadows“ für Aufsehen sorgten, ihr sieben Jahre altes Programm „BeWeGung“ reanimiert und im Haus der Springmaus einen Parforce-Ritt durch die Welt der Mobilität in all ihren Facetten präsentiert. In einer wilden Aneinanderreihung von schreiend komischen, mitunter recht albernen und erstaunlich akrobatischen Szenen zeigt das Ensemble eindrucksvoll, wozu man fähig ist. Wenn man nur mal aufsteht.
Singen kann die Frau so ziemlich alles. Rock an der Seite von Udo Lindenberg, Musicals wie „Cabaret“, „Evita“ und „Sunset Boulevard“, kecke Chansons von Kurt Weill, Jazz-Standards. All das hat Helen Schneider schon hinter sich; so ist es nur eine logische Konsequenz, dass sie sich jetzt dem Singer-Songwritertum zuwendet, das sie in den 60er und 70er Jahren sehr geprägt hat. Zusammen mit Linda Uruburu, ihre Freundin seit Kindheitstagen, und dem Gitarristen Jo Ambros hat sie sich entsprechende Lieder auf den Leib geschrieben, Lieder, mit denen sie all das auszudrücken vermag, was sie in den vergangenen Jahren bewegte. In der Harmonie Bonn legt die 64-Jährige nun ihre Seele bloß – und sorgt so für einen bewegenden Abend.
So reißt man das Publikum von den Stühlen: Zum Abschluss eines bemerkenswerten Konzerts in der Bonner Oper hat es Nils Landgren noch einmal allen gezeigt. Ein paar exzellente Funk-Einwürfe, ein bisschen fetziger Gesang, eine ebenso höfliche wie nachdrückliche Aufforderung, und schon steht der gesamte Saal Kopf. Ja, der Mann mit der roten Posaune weiß eben zu elektrisieren und zu berühren; da können sich manche noch eine Scheibe von abschneiden. Andererseits, wie kann man auch still sitzen bei einem Programm zwischen Swing und Funk, zwischen Charlie Chaplins „Smile“ und Landgrens eigener „House Party“? Zusammen mit dem Bundesjazzorchester (Bujazzo), das einmal mehr seine Brillanz unter Beweis stellt, gestaltet der 60-Jährige einen herrlich jazzigen Abend, der nur wenige Wünsche offen lässt.
Die Gedanken sind frei, und er kann sie erraten: Vor Nicolai Friedrich sind fast keine Geheimnisse sicher. Geburtstage, Lieblingsstädte und PIN-Nummern sind für den Mentalmagier, der zu den besten seines Fachs zählt, ein Kinderspiel – und notfalls hilft er mit ein wenig Suggestion und mindestens ebenso viel Psychologie nach, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Mit übersinnlichen Fähigkeiten hat dies nichts zu tun, betont der 39-Jährige immer wieder, und doch können sich die Besucher im Brückenforum dieser Vermutung nicht ganz erwehren. Denn so ganz geheuer scheint es nicht zu sein, wenn Friedrich die vom Publikum erdachten Lottozahlen vorhergesagt hat oder drei Freiwillige nach Betrachten eines Rohrschacht-Tests irgendwie dazu bringt, so auf Folien herumzukritzeln, dass diese übereinandergelegt eine Skizze des Eiffelturms zeigen. Ominös. Und das ist nur die Hälfte der Zaubershow.
Das soll also Stand-Up-Comedy sein: Ein 53-jähriger US-Amerikaner mit der Tendenz, jede Aussage in bester Mario-Barth-Manier (aber ohne dessen Dynamik) dreimal zu wiederholen, erzählt abwechselnd von seiner Morgenlatte und seinen inneren Hämorriden, erinnert sich an seine Sprach-Lehrstunden in der Telefonsex-Hotline samt des enthusiastischen Durchdeklinierens des Verbs „lecken“ und erfreut sich am „Strammen Max mit zwei Eiern“, für ihn der Beweis des erotischen Potenzials des Deutschen. Ah ja. Peinlicher geht’s wohl nicht mehr.
Eigentlich kennt Chin Meyer sich ja aus in den Welten des Scheins. Nur wenige Kabarettisten durchdringen das Dickicht der Finanzmärkte so gut wie der der 57-Jährige, können Leerverkäufe anhand von Bohrmaschinen erklären und den besten Weg zur Ausnutzung von Steueroasen weisen. Doch mit seinem neuen Programm „Macht! Geld! Sexy?“ lehnt sich der Mann mit dem Hundert-Dollar-Anzug ein wenig zu weit aus dem Fenster. Gleich drei große Komplexe nimmt er im Haus der Springmaus in Bonn ins Visier, von denen jedes einzelne Stoff für nahezu unendlich viele Kleinkünstler bietet – und prompt verheddert Meyer sich in dem selbst aufgespannten Netz, wirkt fahrig und unfokussiert. Auch weil er die drei großen Schlagwörter in seinem Programmtitel immer wieder nur als Vorwand nimmt, um irgendwelche Liedchen zu trällern. Warum auch immer.
Ein türkisches Stück aus Berlin, das nach einer kleinen Rock-Einlage letztlich wie selbstverständlich im jiddischen Klezmer mündet: Ein derartiger Balance-Akt zwischen allen Kulturen und Stilen gelingt auch nur den 17 Hippies. Das 13-köpfige Weltmusikorchester (die numerische Verwirrung ist übrigens Programm) ist wie kaum eine andere Formation in der Lage, die unterschiedlichsten Ansätze zu einem harmonischen Ganzen zu fügen, ohne dabei den Eindruck von Künstlichkeit zu erwecken. Ganz im Gegenteil – es kommt zusammen, was schon immer zusammen zu gehören scheint. Die perfekte Integration. Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens sind die Hippies nun wieder auf Tour und haben dazu auch der restlos ausverkauften Harmonie einen schon viel zu lange ausstehenden Besuch abgestattet. Und der war so wie zu erwarten: ein Fest.
So eine Gelegenheit ist rar: Obwohl Frank Woeste in Hannover geboren wurde, ist Deutschland für den seit Jahren in Paris lebenden Jazzpianisten lange ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte geblieben. Und noch seltener lässt sich der 40-Jährige auf ein Solo-Konzert ein. Im Kammermusiksaal des Beethovenhauses hat Woeste dies nun dennoch getan und damit sowohl für den Jahresauftakt der Reihe „Aspekte“ als auch für den von „Piano? Forte!“ gesorgt. Ein besonderer Auftritt eines brillanten Virtuosen. Sein brandneues Programm „Hapax“ (griechisch für „einmal“) dreht sich dabei um die Magie der Improvisation, um einzigartige Momente und Klänge sowie um den für Jazzer essentiellen Drang, sich permanent neu zu erfinden.
Welche Kraft ist es nur, die die Welt im Innersten zusammenhält? Die Liebe? Oder vielleicht doch eher die Blödheit? Eine schwere Frage, auch für René Steinberg. Der Kabarettist, der im Haus der Springmaus sein neues Programm „Irres ist menschlich“ präsentiert, hofft natürlich auf ersteres. Und fürchtet letzteres. Ein Blick auf die sozialen Medien reicht in der Regel aus – und wenn erst Blödheit, von Angst befeuert, zur post-faktischen Meinung mutiert, sind rationale Argumente ebenso wirkungslos wie das Gebot der christlichen Nächstenliebe. Dieser Entwicklung samt des Höhenflugs geistiger Brandstifter von Viktor Orban über Alexander Gauland bis hin zu Donald Trump will Steinberg daher nun die Stärkung des Gemeinsinns entgegensetzen. Auf seine Art. Mit kollektivem Lachen über kritische Themen. Was dank eines Breitband-Niveaus auch durchaus funktioniert.
Die schlechte Nachricht vorweg: Die schottische Königin des Rock, Maggie Bell, war beim diesjährigen traditionellen Konzert der Hamburg Blues Band krankheitsbedingt nicht mit in der Harmonie. Dafür aber der englische König des Blues. So kündigte sich Chris Farlowe zumindest selbst an – und nach seinem exquisiten Auftritt während der zweiten Hälfte des Abends war man geneigt, dem 76-Jährigen zuzustimmen. Die Kraft und die Vielseitigkeit, die der Brite an den Tag legte, sorgten beim Publikum zu Recht für Begeisterung, ebenso wie sein Humor: Mal lästerte er über das deutsche Krankenhausfrühstück und das ein oder andere Tee-Verbrechen, dann wieder trillerte, surrte und keuchte er augenzwinkernd in Antwort auf ein Gitarren-Solo von Krissy Matthews, der mit seinem virtuosen Spiel schon im vergangenen Jahr den Klang der Hamburg Blues Band veredelt hat. Farlowe genoss diesen Austausch sichtlich. Das Publikum sowieso. Bei der Energie kein Wunder.
Viel ist im vergangenen Jahr geschehen, über das man reden kann. Und auch sollte. Doch wer bei der Wahl der Themen nicht aufpasst und sich ein wenig einschränkt, droht schnell an der Kleinteiligkeit zu ersticken. Genau damit hatte auch Anny Hartmann bei ihrem Jahresrückblick im Bonner Pantheon zu kämpfen: Die derzeit wahrscheinlich bestinformierteste Kabarettistin des Landes wollte wirklich auf alles zu sprechen kommen, was Deutschland und die Welt in den vergangenen zwölf Monaten bewegt hat. Silvesterübergriffe und Lügenpresse, Obergrenzen, AfD, Flüchtlingskrise, Kükenschreddern, Brexit, Lohfink, Erdogan, Reichsbürger, Trump... Ein Schlagwort jagte das nächste, zu allem präsentierte Hartmann harte Fakten – und leider viel zu oft ungewohnt flache Pointen.
Zwei Herzen schlagen ach in seiner Brust: Affe und Homo Sapiens sind in Kafkas kurzer Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“, die der querschnittsgelähmte Schauspieler Samuel Koch (der zuletzt in „Hiob“ in den Kammerspielen Bad Godesberg zu sehen war) und sein Kollege Robert Lang jetzt als Gastspiel auf die Werkstatt-Bühne des Theater Bonn gebracht haben, nur noch äußerlich unterscheidbar. In dem Text, der dem gerade einmal halbstündigen Stück zugrunde liegt, erzählt ein ebensolcher Affe namens Rotpeter, der sich seiner animalischen Natur aus Selbstschutz entledigt hat und durch seine Menschwerdung dem engen Käfig der Firma Hagenbeck entkommen ist, von den Herausforderungen dieses Wandlungsprozesses – zugleich bleibt er, zumindest in der bemerkenswerten Darstellung des aneinanderklebenden Duos, dennoch in gewissen Bereichen seiner Natur treu.
Was für ein Chaos! Da lässt man einmal ein berühmtes Medium in sein Haus, und schon wird aus dem trauten Eheleben eine wilde, halb-astrale ménage à trois. Denn mit dem Erscheinen der verstorbenen ersten Frau des Schriftstellers Charles Condomine (Steffen Laube) gerät in der „Geisterkomödie“ von Noël Coward, die das Kleine Theater Bad Godesberg jetzt in der Inszenierung von Constanze Jungnickel präsentiert, alles aus den Fugen. Während Charles, der die spukende Elvira (Nicole Kleine) als Einziger sehen und hören kann, sich nach einem ersten Schrecken mit der Situation arrangiert und sie bis zu einem gewissen Punkt sogar genießt, ist seine lebendige Gattin Ruth (Aurélie Thépaut) alles andere als begeistert von der für sie unsichtbaren Gespenster-Konkurrenz. Doch eine einfache Lösung gibt es nicht – und dann eskaliert auch noch das Geschehen.