Bewegungen sind mühsam. Der aufrechte Gang ist eine Meisterleistung der Natur, ein Kunststück von unzähligen ineinandergreifenden Muskeln und Sehnen, über das der Mensch gar nicht groß nachdenkt und das doch für jeden Roboter eine enorme Herausforderung darstellt. Und für jeden Zombie. Diese Assoziation ist bei „Yet to be born“ nicht von der Hand zu weisen: In der Performance, die jetzt im Theater im Ballsaal Premiere feierte, verzichten Martina De Dominicis und Alberto Cissello über weite Strecken kategorisch auf natürlich wirkende, fließende Bewegungen und wanken stattdessen zuckend durch den Raum, so als ob sämtliche höheren Hirnfunktionen schon abgestorben sind – oder erst noch geboren werden müssen. Und selbst dieses Taumeln durch Raum und Zeit ist alles andere als selbstverständlich, ist das Produkt eines mühseligen Kampfes mit den Gliedmaßen, dessen einzelne Schritte eher impulsiv denn durchdacht wirken und der gerade dadurch eher ermüdend denn erregend ist.
Manchmal, wenn selbst der lauteste Aufschrei verklungen ist und sich dennoch nichts zu ändern scheint, hilft nur noch Zynismus. Und Satire. Wie sonst kann man eine Welt verstehen, in denen Milliarden Menschen jeden Tag süße Katzenbabyvideos anschauen, bei Meldungen über ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer aber abschalten? Der Postillon kennt die Antwort. Und die Lösung. Wie das wahrscheinlich seriöseste deutschsprachige Nachrichtenmagazin nun vermeldet, packen clevere Schlepper inzwischen auch posierlich schnurrende und kläffende Fellbündel in die Flüchtlingsboote, um so die Chance auf eine Seenotrettung zu erhöhen. Immerhin kann der durchschnittliche Europäer zwar den großen Augen der Hilfsbedürftigen widerstehen, nicht aber den Blicken niedlicher Jungtiere. Klingt bitter? Ist es auch. Aber wahr. Und gerade deshalb die intensivste Form der Satire, die jetzt in der Oper Bonn über 90 Minuten ausgebreitet worden ist.
Blasmusik ist wieder in. Zumindest, wenn sie das volkstümelnde Stadl-Getue überwindet, sich weltoffen zeigt und eine Party-Garantie gibt. Querbeat und LaBrassBanda haben im vergangenen Jahr mit einem phänomenalen Konzert auf dem KunstRasen vorgemacht, wie hervorragend es funktioniert, wenn Bigbands und Marschkapellen sich mit Reggae, Funk und elektronischer Musik anreichern. Jetzt haben die Veranstalter des beliebten Open-Air-Geländes in den Rheinauen das Konzept ausgeweitet, eine Blech-Flatrate ins Programm aufgenommen und mit „Sound of Heimat“ ein Brass-Festival der besonderen Art installiert. Ein Ansatz, der ankam – zumindest als die Schatten länger wurden.
Es gibt Erfahrungen, die einen ein Leben lang verfolgen. Selbst wenn man mit ihnen abgeschlossen zu haben glaubt, werden sie doch immer wieder aus der Mottenkiste der Erinnerung hervorgekramt, wahlweise von einem selbst oder von anderen. Tears for Fears haben sich mit diesem Phänomen längst arrangiert: Die britische New-Wave-Band, die am vergangenen Freitag mit einem umjubelten Konzert in den Bonner Rheinauen die KunstRasen-Saison 2019 eröffnet hat, legt nur allzu gerne immer wieder ihr Innerstes offen, um das Publikum zu begeistern, so wie schon 1983 mit ihrem Debüt-Album „The Hurting“.
Die Blockflöte rockt wieder. Endlich. Wildes Holz sind zurück auf der Bühne, und damit wird dem zu Unrecht als Kinderspielzeug verschrienen Instrument einmal mehr die Ehre zuteil, die ihm gebührt. Schließlich kann es überaus vielseitig sein, kann barocke Kanons ebenso trällern wie Madonnas „Like A Virgin“ oder Chick Coreas „Spain“, und selbst AC/DC klingt mit Block erstaunlich gut. Zugegeben, das Trio um Tobias Reisige ist schon etwas Besonderes, ist ebenso virtuos wie schräg und kann sich fast alles erlauben, selbst die Verholzung von Hard Rock und Metal. Aber gerade deswegen bereitet es ja solche Freude, Wildes Holz erneut im Haus der Springmaus zu erleben, wo sie das tun, was sie schon immer beherrschten: Faszinieren.
Irgendwas nervt immer. Oder irgendwer. Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel, die mit ihren Äußerungen derzeit Angela Merkel wie ein heiliges Universalgenie erscheinen lässt. Oder der Hambacher Horst, also Herr Seehofer, der intellektuellen Raubbau an sich selbst betreibt. Oder die wandelnden Leichen von der SPD. Oder die Wespen. Ja, vor allem die Wespen. Diese nervigen, permanent aggressiven Aasfresser, kurzum die AfDler unter den Insekten. Die würde man ja am liebsten ausmerzen. Darf man aber nicht, warnt Kabarettist Tobias Mann. Und versucht in seinem neuen Programm „Chaos“ stattdessen, die Hintergründe der Wespen und all der anderen Plagegeister zu verstehen und dadurch seinen inneren Frieden zu finden. Was im Bonner Pantheon mal mehr, mal weniger gut gelingt.
Fremde Federn stehen nicht jedem. Mitunter sind sie zu groß, oder zu fremd, oder zu verschieden vom eigenen Stil. Sie müssen schon passen – oder passend gemacht werden können. Kultrocker Gerd Köster hat für letzteres ein besonders Talent. Vor 30 Jahren hat er erstmals gemeinsam mit dem Gitarristen Frank Hocker Tom-Waits-Songs in den ihm eigenen tiefkölschen Dialekt übertragen, seitdem ist er dieser Kunst treu geblieben. Jetzt hat das Duo das Album „Fremde Feddere“ aufgenommen, das es zusammen mit Helmut Krumminga im Pantheon vorstellt und dabei zeigt, dass Bob Dylan, Shane McGowan und Frank Zappa auch mit rheinischem Zungenschlag hervorragend klingen.
Eigentlich müsste Florian Franke ziemlich enttäuscht sein an diesem Abend. Vor zwei Jahren schien er endlich die Erfolgswelle erwischt zu haben, war mit seinem Debütalbum „Stadtgeflüster“ im Radio präsent und auch auf größeren Bühnen, eröffnete für Künstler wie Philipp Dittberner oder Anastacia, füllte auch das Auditorium Stravinski in Montreux – und jetzt, wo er sich auch mal eine fünfköpfige Band leistet, kommt gerade mal ein gutes Dutzend Zuhörer, das sich in der gemütlichen Lounge des Pantheon verliert. Ungerecht, möchte man sagen. Doch Franke lässt sich nicht unterkriegen. „Du glaubst nicht an das Scheitern“, singt er in „Wind“ und könnte damit ohne weiteres sich selber meinen. Eine bemerkenswerte Stärke, die sich der charmante Liedermacher unbedingt bewahren sollte. Dafür ist er einfach zu gut.
Man kann gar nicht früh genug anfangen: Seit dem vergangenen Sonntag ist die Session 2020 des Kölner Karnevals eröffnet. Gut, nur inoffiziell. Aber trotzdem. Wenn Köbes Underground als offizielle Hausband der Stunksitzung schon den Startschuss für die fünfte Jahreszeit gibt, kann dieser doch nicht ungehört bleiben. Zumindest in der Bonner Oper, wo die Formation im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ ihre Aufwartung machte, brachen bei der Aussage des unbestrumpften parodistischen Dreigestirns alle Dämme. Die schon zuvor exzellente Stimmung erreichte mühelos ein neues Niveau, während die Fans der närrischen Kapelle alles mitmachten. Von der Prinzenproklamation bis zum Tanzunterricht.
Wir sind schon ein seltsames Völkchen, wir Europäer. Nach Jahrhunderten der Auseinandersetzung, nach zwei Weltkriegen und nach etlichen weiteren großen und kleinen Konflikten herrscht erstmals Frieden auf dem Kontinent, können wir entspannt und frei leben – und kaum appellieren ein paar Flüchtlinge an unsere Menschlichkeit, entwickeln wir uns zu Pavianen zurück, fletschen die Zähne und wenden uns Faschisten und Rassisten zu. Da kann Hagen Rether nur mit dem Kopf schütteln. Was soll das? Warum können wir nicht einfach mal die Ruhe bewahren, und unsere christlichen Werte am besten noch dazu? Also jene, die so gerne von den rechtskonservativen Kräften vereinnahmt werden, wenn sie mal wieder die Grenzen schließen wollen, um das christliche Abendland vor den muslimischen Horden zu schützen. Aber Sankt Martin feiern, das muss drin sein. Vom geteilten Mantel predigen und die Laternen danach auf Flüchtlingsheime werfen. Was für eine Heuchelei. Was für eine Enttäuschung.
Es ist schon ein bemerkenswerter Abschied: Mit Walter Ullrich tritt der dienstälteste Intendant eines deutschen Theaters endgültig ab. Mehr als 60 Jahre lang war er eine Institution, war er Geist und Seele des Kleinen Theaters Bad Godesberg und seit 1979 auch des Neuwieder Schlosstheaters. Jetzt hört er auf. Endgültig. Mit 88 Jahren verabschiedet er sich von dem Haus im Godesberger Stadtpark, nicht jedoch ohne sich noch einmal in eine seiner Lieblingsrollen zu stürzen: Den Faust. Immer wieder stand Goethes Drama auf dem Spielplan, diesmal in einer reduzierten, vom Prinzipal selbst inszenierten Version, ohne die wilden Tage des durch mephistophelische Zauberei verjüngten Gelehrten. Den würde man Ullrich auch bei aller Schauspielkunst nicht abnehmen. Den alten Suchenden aber, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, den beherrscht er meisterhaft. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“, sagt er. Und zeigt auf eindrucksvolle Weise, was das für ihn bedeutet.
Mit Werten und Normen beschäftigt sich das Theater Rampös leidenschaftlich gerne: Seit das freie Ensemble Anfang 2016 gegründet wurde, sucht es nach Bruchstellen, durch die der Alltag zur Farce wird oder die Fassade der Normalität zu bröckeln beginnt. Nun hat es mit einer Doppelproduktion in der Brotfabrik dieses Konzept fortgesetzt und zwei kurze Stücke inszeniert, die in ihrer Theatersprache unterschiedlicher kaum sein könnten und die doch beide einen Blick auf Verlorene und Außenseiter gewähren. Auf der einen Seite steht mit der inzestuösen Liebesgeschichte „Ilja & Mira“ eine melancholisch-amouröse Collage, auf der anderen mit Rodrigo Garcías „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ eine gnadenlos komische Groteske, die hinter der Micky-Maus-Maske des Absurden einige brillante Einblicke in eine Glück und Konsum verwechselnde Gesellschaft gewährt. Zwei spannende Ansätze. Und eine gute Umsetzung.
Es geht mal wieder um das Dings. Also das Bums. Das Dingsbums. Na die Wurst natürlich. Und um Frauen. Und um Terroristen, um E-Autos und den Brexit, um eine Globuli-Überdosis und um jede Menge Fußball. Kurzum um all das, was die Welt von Rolf Miller ausmacht. Der bissige Kleingeist aus dem Odenwald, der fast keinen Satz zu Ende bringt und jede Redewendung mit dem Chaos verknotet, ist zurück und besäufniserregender als jemals zuvor. Seit 25 Jahren steht er jetzt auf deutschen Kabarettbühnen, stets mit sehr viel Meinung und ganz wenig Ahnung. Und es gibt keinen Grund, im neuen Programm „Obacht“ irgendetwas anders zu machen.
Der Titel verspricht einiges: „Perlen aus Jazz und mehr“ will das Duo Q and Me in der Trinitatiskirche zum Besten geben, schöne musikalische Schmuckstücke, Standards und auch den ein oder anderen Pop-Song. Klingt gut. Tatsächlich setzen Sängerin Runqiu Song und Pianist Daniel Wissel diesen Plan konsequent in die Tat um, so viel muss man den beiden Bonner Musikern einfach zugestehen. Nur präsentieren sie eben Süßwasserperlen, glattpoliert und makellos, gezüchtet, genormt, ohne Ecken und Kanten – und leider dadurch oftmals erschreckend fad.
Der Steinzeitmensch ist noch in uns. Impulsgesteuert und recht einfach gestrickt, kann er im Angesicht des Fremden und Unerwarteten entweder flüchten oder zuschlagen. Meistens letzteres. Physisch oder verbal, das macht da keinen großen Unterschied. Jahrtausende hat dieses Prinzip gut funktioniert, doch in den letzten Jahren – evolutionsgeschichtlich betrachtet – stoßen wir mit den etablierten Mustern zunehmend auf Probleme. Erst der Ackerbau, dann der Buchdruck und die Industrialisierung haben die Welt nachhaltig verändert, und jetzt steht mit der Digitalisierung eine neue und vor allem unbegreifliche Revolution bevor, die selbst rational kaum zu erfassen ist. Geschweige denn emotional.
Das Ziel des Schumannfests ist in diesem Jahr so klar definiert wie nie: „Wir wollen Clara werden“, bekräftigt Festivalleiter Markus Schuck im Vorfeld des Konzerts der Queenz of Piano im Haus der Springmaus. Kurzum, Frauen an die Macht. Oder zumindest an die Tasten. Im Jahr des 200. Geburtstags von Clara Schumann ist das nur konsequent. Die Pianistin und Komponistin war eine herausragende Künstlerin und in vielen Bereichen ihrem Mann Robert ebenbürtig – ein Anspruch, mit dem auch Jennifer Rüth und Ming kokettieren. Das Duo will schließlich hoch hinaus, wie der royale Titel unterstreicht. An Selbstvertrauen mangelt es den beiden Damen folglich nicht. Wohl aber mitunter an Timing.
Immer besser werden, immer erfolgreicher, immer reicher: Sebastian 23 kann es nicht mehr hören. Der Poetry-Slammer hat genug von diesem ständigen Streben nach Selbstoptimierung, betrieben von Menschen mit so viel Oberflächlichkeit, dass eine Seifenblase vor Neid platzen würde. „So wie wir sind reicht nicht mehr aus“, beklagt er. Vor allem die zahlreichen Ratgeber irritieren ihn, all diese Bestseller-Bücher, die die Leser belehren und als der Weisheit letzter Schluss gelten, bis im nächsten Monat der nächste Wälzer im Regal steht. Jedes siebte Buch fällt inzwischen in diese Kategorie, rechnet Sebastian 23 vor. Und schreibt kurzerhand einen Anti-Ratgeber, mit dem man wieder den Rückwärtsgang einlegen und schlechter werden kann. Endlich. Darauf hat die Welt nur gewartet. Mit „Endlich Erfolglos“ ist der 40-Jährige nun auf Lesereise – so auch im Pantheon.
Einer der größten Schätze Bonns ist die Kulturlandschaft der Bundesstadt: Beethoven und Oper, Rock und Pop, Schauspiel und Tanz. Vor allem letztere sind am vergangenen Mittwoch bei der 13. Theaternacht wieder in all ihren Facetten ins Rampenlicht gerückt worden. Mehr als 80 Ensembles haben auf 45 Bühnen gezeigt, wie lebendig die lokale Theaterszene ist, wie reichhaltig und wie wichtig. Von Godesberg bis in die Nordstadt, von Endenich bis Beuel erstreckten sich die Angebote, die über 3000 Besucher nur zu gerne in Anspruch nahmen. Wer jedoch möglichst viel sehen wollte (alles wäre schlichtweg unmöglich), musste einigermaßen flink sein – und angesichts enormer Schlangen vor einigen Häusern am besten eine gewisse Flexibilität an den Tag legen.
Optisch kommt Kyle Eastwood durchaus nach seinem Vater. Künstlerisch dagegen eher nicht. Der versierte Bassist, der jetzt im Rahmen des Jazzfests Bonn im Post Tower zu Gast war, ruht in sich, ist ein Teamplayer und ein Charmebolzen, kurzum das genaue Gegenteil zu den wortkargen Raubeinen wie Dirty Harry oder Revolvermann Joe, die seinen Vater Clint in dessen frühen Jahren berühmt gemacht haben. Die schier unerschöpfliche Energie für kreative Höchstleistungen, die besitzen allerdings beide. Und die Liebe zum Jazz. Dabei hat Eastwood Junior längst seinen eigenen Weg beschritten, der über Hard Bop und Jazzrock bis hin zu orientalisch anmutendem Welt-Jazz führt. Und alles klingt gut. Bei dem Jazzfest-Konzert gaben der 51-Jährige und sein Quintett auf jede Fall von der ersten Sekunde an Vollgas und sorgten mit knackigem, markantem Spiel für Begeisterung.
Ein Rave in der Oper? Eigentlich undenkbar. Subkultur im Tempel der Hochkultur, wummernde Bässe und eine tanzende Menge statt schmetternder Tenöre und sterbender Schwäne – das passt doch nicht zusammen. Es sei denn, man findet die richtigen Künstler. So wie die Jazzrausch Bigband, die im Rahmen des Bonner Jazzfests den Opernsaal mühelos in einen Clubraum verwandelt und mit wuchtigen Beats versieht, die keinen kalt lassen. Schnell stehen jung und alt in den Reihen und tanzen, die 70-jährigen Jazzliebhaber ebenso wie die 20-jährigen Techno-Fans, alle im Taumel einer kollektiven Ekstase, hypnotisiert von dumpfen Rhythmen und schneidigen Bläsern. So geht Party. So geht ein Rausch.
Jazz hat viele Gesichter. Auf der einen Seite kann man diese Musik nur mit unbändiger Leidenschaft machen, auf der anderen besteht auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen immer die Möglichkeit, zu abgedreht zu wirken, zu aufgesetzt, zu verkopft. Wie leicht das Hirn das Herz übertrumpft, hat das Jazzfest-Konzert im Volksbankhaus gezeigt – und auch, wie es anders gehen kann. Denn während sich das Damen-Vokalquartett Of Cabbages and Kings zumindest in ihren Gedichtvertonungen eher an den bemüht komplexen Arrangements der zeitgenössischen klassischen Musik orientierte und dadurch selbst vor Gefühlen triefende Shakespeare-Sonette trockenlegte, setzten der einstige Weather-Report-Bassist Miroslav Vitouš und sein Landsmann Emil Viklický am Klavier mit poetisch-verträumtem Spiel Maßstäbe.
Retro ist wieder in. Wenn die Ästhetik des Gestern wieder als modern und modisch gilt und dem Original gehuldigt wird, wenn der Nostalgie gefrönt und die Jagd nach dem Neuen negiert wird, hält die sich rasant verändernde Welt für einen Moment den Atem an. Doch es geht auch anders. Denn die Rückbesinnung kann auch der Ausgangspunkt für eine bislang unbekannte Formensprache sein, in der das Beste von Gestern als Zitat mitschwingt – so wie beim zweiten Jazzfest-Abend in der Brotfabrik, bei dem sowohl das Tobias-Hoffmann-Trio als auch Lucia Cadotschs Formation Speak Low Standards und Evergreens auf ihre Weise interpretiert haben. Was mit etwas Glück durchaus reizvoll sein kann. Oder aber ziemlich ermüdend.
Die Brotfabrik ist seit jeher ein Ort, an dem das Jazzfest regelmäßig die Grenzen von Harmonie und Wohlklang überschreitet und das Tor zu experimentellen Klangwelten weit aufstößt. Wer sich also nach Beuel wagt, muss sich auf einiges gefasst machen – so auch in diesem Jahr. Krachende Gitarren, wabernde Bass-Wolken, asynchrone Polyrhythmen und ein quietschendes Saxofon haben am vergangenen Montag so manche Hörgewohnheiten auf die Probe gestellt und das Organisationsteam sogar dazu veranlasst, am Eingang segensreiche Ohrstöpsel zu verteilen. Natürlich nur wegen der Lautstärke. Alles andere gilt schließlich als Kunst. Auch wenn die Übergänge zum Krach zumindest teilweise fließend waren.
Der Kern des Jazz ist die Überraschung. Die ständige Neugier des Menschen nach Erfahrungen jenseits des Bekannten, nach Experimenten und Grenzüberschreitungen. Tradition trifft auf Innovation – und das in Bonn schon seit zehn Jahren. 2009 fand das erste Jazzfest in der Bundesstadt statt, initiiert von Peter Materna, der nun zum Jubiläum einmal mehr aus dem Vollen schöpft, eher unbekannte, aber nichtsdestotrotz hochkarätige Künstler mit großen Namen verknüpft, unterschiedliche Ansätze in Doppelkonzerten gegenüberstellt und alle Farben und Formen des Jazz in zwei Wochen fasst. Am vergangenen Freitag feierte das Festival in der Bonner Oper seinen Auftakt in gewohnt fulminanter Weise und konnte dabei auf Newcomerin Lisa Wulff ebenso zählen wie auf Stimmwunder Thomas Quasthoff.
Auch Lebensmittel lieben es, sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Bratwürste zum Beispiel. Oder Schweinefilets, die zum Ballettunterricht gehen wollen. Oder Pampelmusen mit einem Apfelsinen-Tatoo. Nur weil der Mensch sie gerne verzehrt, können sie doch auch etwas zu sagen haben. Klappt bei Tieren schließlich auch ganz gut. Also verleiht Funny van Dannen ihnen allen eine Stimme, begleitet den Sahne-Hering beim Zoo-Besuch und die Krähe bei der Jagd, verfasst Tier- und Obst- und Fleisch-Fabeln in rauen Mengen und lässt ab und zu auch Menschen zu Wort kommen, die mindestens genau so seltsam sind wie die anderen Protagonisten seiner Geschichten. Insofern könnte eine Lesung des Autors und Liedermachers grundsätzlich überaus amüsant sein. Wenn der 61-Jährige nur seine Texte mit Leben füllen würde. Und mit Schwung.
Finger flitzen, Bälge pusten, Künstler ziehen alle Register: Mit einer überaus vielfältigen, spannenden und berauschenden Akkordeonale hat sich die Harmonie Bonn in die Sommerpause verabschiedet. Das Spitzentreffen internationaler Ziehharmonika-Virtuosen ist schon seit Jahren ein Fest für all jene, die gerne mal über den Tellerrand schauen und sich an einer Musette ebenso erfreuen wie an einem Mischmasch aus Roma- und Klezmermusik oder einem deutschen Volkstanz. Kein Problem, immerhin hat Organisator Servais Haanen wieder vier exzellente Akkordeonisten sowie eine Cellistin und eine überragende Flügelhornspielerin um sich geschart, die in unterschiedlichen Besetzungen das Potenzial ihrer Instrumente voll ausschöpfen.
Der Mensch braucht den Teufel nicht, um sich selbst zu Grunde zu richten. Das schafft er auch ganz alleine. Auf dem Altar des Kosums opfert er bereitwillig all seine persönlichen Daten, kehrt sein Innerstes nach außen und unterschreibt für einen kleinen Kaufrausch nur zu gerne sein Einverständnis zu einer Ausbeutung des freien Willens. Braucht man eh nicht, wenn Algorithmen ohnehin alles besser wissen und das Internet der Dinge alle Bedürfnisse befriedigt. Unmündigkeit ist Fortschritt, so das neue Mantra, das von der kollektiven Herde genüsslich wiedergekäut wird, vorgebetet von vermeintlichen Experten, die doch nur die Schafe mit den lautesten Stimmen sind. Wenn dann ein Kabarettist wie René Sydow an diesem Ausverkauf der Ideale der Aufklärung verzweifelt und sogar den Leibhaftigen um eine Erklärung bittet, tja, dann kann man ihm auch nicht mehr helfen. Zuhören jedoch schon. Denn schärfer und zugleich tiefgründiger als der 39-Jährige sind derzeit nur wenige auf deutschen Bühnen. Jetzt war Sydow mit seinem aktuellen Programm „Die Bürde des weisen Mannes“ im Pantheon zu Gast.
In gewisser Weise ist ein Zirkus ein Anachronismus. Und zwar einer der schönsten. Die alten Wohnwagen, der prunkvolle Eingangsbereich, das analoge statt des digitalen Vergnügens, all das ist schon etwas Besonderes. Und unter dem Zeltdach, am Rand der Manege, wird ohnehin jeder wieder zum Kind, darf wieder für ein paar Stunden staunen, während im Rund das fahrende Volk der Akrobaten und Clowns ihre Darbietungen präsentieren. Diesen Zauber erweckt auch der Circus Roncalli, der seit vergangenem Freitag einmal mehr im Bonner Stadtgarten gastiert, unweit jener Stelle, an der vor 42 Jahren für Bernhard Paul alles anfing. Doch so gerne sich die Artisten auch vor der Vergangenheit verbeugen, so neugierig blicken sie auch in die Zukunft – und bringen neben althergebrachten Künsten auch neue Technologien in ihr Spiel ein.
In der Welt liegt vieles im Argen. Zu viel, um es unkommentiert zu lassen. Vor allem für jemanden wie Dota Kehr. Die Singer-Songwriterin gehört zu jenen zunehmend seltener werdenden Künstlern, die immer wieder aufstehen, Haltung zeigen und zu Akten der Menschlichkeit aufrufen. Auch auf ihrem aktuellen Album „Die Freiheit“, das sie jetzt zusammen mit ihrer Band in der Harmonie vorgestellt hat, thematisiert sie die Ausbeutung des Planeten ebenso wie die Flüchtlingskrise oder scheinbar als normal und harmlos angesehene rassistische Witze. Dazwischen widmet sie sich mit ihrer beträchtlichen stilistischen Bandbreite Alltagsgeschichten, nostalgischen Betrachtungen von Internet-Shops – und natürlich Beziehungen in verschiedenen Varianten.
Sonderlich enthusiastisch wirkt Robert Forster nicht. Dabei hat der Australier, der Ende der 70er zusammen mit Grant McLennan die von Kritikern umjubelten Go-Betweens gründete, gerade erst ein neues Album veröffentlicht, und das sollte dem Titel zufolge heiß sein. „Inferno“, na dann. Aber zumindest in der gut gefüllten Harmonie brennt Forster lange Zeit eher auf Sparflamme, so als ob ihn die metaphorische Hitze träge machen würde. Vielleicht liegt es zumindest zum Teil daran, dass der 61-Jährige ohnehin einen eher lakonischen Stil pflegt und kein exaltierter, sondern eher ein introvertierter Künstler ist, dessen mitunter pathetischer Gestus nur eine selbst auferlegte Maske bildet. Dennoch fehlt dem Auftritt Feuer – das bricht sich erst am Ende Bahn.
Die selbsternannte „Hengstin“ hat es schon schwer. Jedes Mal, wenn sich Tahnee auf der Bühne zu ihrer Homosexualität bekennt, geht im Publikum das Kopfkino los: Männer stellen sich – heimlich lustvoll stöhnend – einen wilden Dreier vor, während Frauen die zuvor an den Tag gelegten „Bitch-Blicke“ einstellen, weil sie ihre Männer nicht länger vor den Verlockungen der attraktiven rothaarigen Comedienne beschützen müssen, und stattdessen verwirrt fragen, ob sie selbst jetzt auf einmal zu Lustobjekten werden. Und wenn nicht, warum.
Das Leben eines Fotografen besteht aus Momentaufnahmen. Blitz. Ein paar Mädels am Strand. Blitz. Ein Tennis-Ass. Blitz. Ein eitler Geck. Blitz. Blitz. Blitz. Doch letztlich nimmt der arme Paparazzo nicht teil am Geschehen, steht immer außerhalb, ist eine Randfigur, ein Chronist im Dienste der anderen, die sich selbst ins rechte Licht setzen wollen und dabei der Ästhetik des Absurden ebenso frönen wie der des Schönen. Blitz Blitz vom „Bang Bang“. Unter diesem Titel hat das Bonner Varietétheater GOP nun eine neue Show auf die Bühne gebracht, die schräg ist und zugleich gefühlvoll, grotesk und romantisch, voller Clowns und Traumtänzer – und eben jenem einem melancholischen Fotografen auf der Suche nach ein bisschen Glück.
In seiner Karriere als Entertainer hat Olli Schulz schon so einiges mitmachen müssen, bei Jan Böhmermann ebenso wie bei Circus Halligalli. Das scheint Spuren hinterlassen zu haben. Nur so lässt sich auf jeden Fall das Video erklären, dass TV-Koch Tim Mälzer und viele andere Besucher der Bonner Oper jetzt hochgeladen haben: Da springt Schulz wild umher, keift irgendetwas vom kleinen Mann, gackert und jault, während hinter ihm ein halbnackter Pianist ein völlig verstimmtes Instrument malträtiert. Angesichts dieser Peinlichkeit sind die Buh-Rufe aus dem Publikum nicht weiter überraschend. Am Tag danach stürzen sich die ersten Medien denn auch mit Wonne auf diese Szene, nehmen ungefiltert und unkritisch das avantgardistische Debakel – und spielen Olli Schulz damit nur in die Hände. Denn natürlich verbirgt sich hinter der vermeintlichen Eskapade des 45-Jährigen mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Doch das erfährt man nur, wenn man live vor Ort ist. Und mal zuhört.
Offiziell steht dieser Abend ganz im Zeichen des „Great American Songbooks.“ Standards will Rainer Böhm im Rahmen der Reihe „Jazz in Concert“ im Bonner Pantheon interpretieren, Evergreens berühmter Musical-Komponisten aus dem Goldenen Zeitalter des Jazz. Stücke, die man vielleicht sogar mitsummen könnte. Zumindest manchmal. Doch dazu kommt es nicht. Denn obwohl der 41-jährige Pianist mit seinem Trio überaus virtuos spielt, sind die Klassiker aus der Feder von Cole Porter oder Harold Arlen als solche kaum erkennbar, sind nicht mehr als ein gedankliches Filament, ein letzter Anker für ein in der Stratosphäre stattfindendes musikalisches Gespräch der besonderen Art.
Eine ausgeprägte Nase hat so seine Tücken: Cyrano de Bergerac wurde nicht zuletzt dank seines Riechorgans als literarische Figur unsterblich, Kleopatra für die ihre bewundert und Nikolai Gogol für seine verspottet. Ob letzterer allerdings so ganz ohne dieses Körperteil glücklich geworden wäre, sei dahingestellt: Immerhin hat der Schriftsteller während seiner Zeit in Sankt Petersburg unter anderem eine groteske Erzählung verfasst, in der die titelgebende Nase des Kollegienassessors Kovalev eines Tages ganz eigene Wege geht, sich abkoppelt von ihrem Menschen und als Staatsrat durch die Stadt spaziert. Ein Akt, der den derart verlassenen und verunstalteten Beamten zutiefst verstört. Nun hat Regisseur Frederik Werth diesen Stoff auf die Werkstattbühne des Theater Bonn gebracht – und ein irritierendes, aber auch durchaus amüsantes Zwei-Personen-Stück geschaffen.
Am Anfang erst mal Sitzpogo. Klar, muss ja. Zu einem Konzert der Monsters of Liedermaching gehört dieser Tanz eben dazu, der die Hemmungslosigkeit des Punk und die Gemütlichkeit des Singer-Songwritertums so unprätentiös vereint. Klingt irre, ist es auch. Aber immerhin wird so von der ersten Sekunde an klar, was das Publikum im Pantheon an diesem Abend erwarten kann: Klassiker aus inzwischen 16 Jahren Bandgeschichte ebenso wie neues Material von den sechs Mitgliedern des Anarcho-Kollektivs, angefüllt mit sehr viel biergetränktem Blödsinn und pubertärem Pennälerhumor, mit dem man feiern kann, ohne allzu viel nachzudenken. Dabei können die Monsters mehr. Zumindest einige von ihnen.
Dem Ruf des Rock kann sich keiner entziehen. Zumindest nicht auf Dauer, vor allem wenn die Richtigen spielen. So wie jetzt in der Harmonie. Wenn die Trommeln den Geist des Grooves beschwören, der Bass dumpf vibriert und die Gitarre jault wie ein Voodoo-Priester im Taumel der Ekstase, wenn das Publikum unweigerlich in eine Art Trance gerät und ein Trio aus Cornwall feiert, das mit hypnotischen Songs irgendwo zwischen sumpfigem Südstaaten-Bluesrock und krachendem Hardrock für Aufsehen sorgt, wenn all das zusammenkommt, dann ist das musikalische Ritual ein voller Erfolg. Kein Wunder bei gleich drei exzellenten Zeremonienmeistern in Form von Wille and the Bandits, die zum wiederholten Male zeigen, dass sie mehr sein sollten als nur ein Geheimtipp. Nämlich Hohepriester.
Augen zu, Ohren auf und einfach genießen: So lautet die Prämisse der „Blind Audition“, die nun erstmals im Bonner Pantheon stattgefunden hat. Das Format, das in Köln bereits seit Jahren große Erfolge feiert und nun erstmals die Domstadt verlassen hat, blendet das Visuelle ganz bewusst aus, gestattet keine große Performance oder Bühnen-Show, mit der viele Pop-Stars meisterhaft zu blenden verstehen. Was zählt, ist die Stimme. Und sonst nichts. Wie auch? Immerhin findet das Konzert mit vier dem Publikum unbekannten Sängern in völliger Dunkelheit statt. Zu sehen gibt es also nichts, zu hören dafür um so mehr. Und das lohnt sich. Sehr sogar.
Es war ein Experiment: In der Form, in der Besetzung, aber auch in der Wahl des Termins. Ein Live-Hörspiel mit 14 Akteuren, ein Stück über einen Amoklauf – und das an Gründonnerstag. Die Pauluskirche hat sich auf genau dieses Wagnis eingelassen. Pfarrer Dr. Jochen Flebbe von der Evangelischen Thomasgemeinde hatte den Autor Michael Nolden eingeladen, das von ihm geschriebene „Amok“ zusammen mit Schauspielern und Sprechern aus Bonn und der Region in einer aktualisierten Fassung zu realisieren und damit anzuknüpfen an eine Predigt über das Verhältnis von Leben und Tod, die mit Blick auf Karfreitag nicht von ungefähr kommt. „Die Möglichkeiten des Theaters können in der Kirche noch einmal Antworten aus einer anderen und weiteren Perspektive über Predigt und Liturgie hinaus geben, in ihrer besonderen Ästhetik Herz und Sinne berühren und zeigen, dass es durchaus ein Leben gibt, das man dem Tod entgegensetzen kann“, so Flebbe.
Dem Glück jagt jeder hinterher. Selbst Paul Panzer. Oder vielmehr: gerade Paul Panzer. Immerhin hat es der Comedian nicht leicht. Ja, Erfolg hat er, aber eben auch eine Frau mit einer tief empfundenen Begierde nach „Tschibbo“-Produkten und zwei feierwütigen Teenager-Kindern mit dem Intellekt von lobotomierten Chihuahuas. Dabei soll doch gerade die Familie glücklich machen. Nur wie? Da muss Panzer ganz schön in sich gehen. Und auf der Bühne der Oper Bonn sein Leid klagen wie ein Heldentenor von der traurigen Gestalt. Was verdammt lustig ist. Und ihn zugleich sympathischer und dreidimensionaler macht als all seine vorhergehenden Programme zusammen.
Die Zeit hat Gilbert O'Sullivan nichts anhaben können. Na ja, zumindest nicht viel. Ein paar Falten sind hinzugekommen, zugegeben, aber der Wuschelkopf des irischen Barden ist noch genau so voluminös wie damals in den 70ern, als er vorübergehend auf Augenhöhe mit Elton John und Cat Stevens spielte und mit weichen Balladen und zartem Schmelz die Charts stürmte. Auch die Stimme klingt wie eh und je, ein ätherisch-lyrischer Tenor ohne Ecken und Kanten, ein Traumtänzer-Organ, das noch immer über eine tänzerische Leichtigkeit verfügt. Im Kern hat sich somit nichts verändert, zumal O'Sullivan sich treu geblieben ist und jegliche Mode-Erscheinung ignorierte. Auch heute klingen seine Songs noch wie vor 50 Jahren. Nun hat das Singer-Songwriter-Urgestein im Beueler Brückenforum anlässlich seines Bühnenjubiläums die großen Hits und die kleinen Preziosen Revue passieren lassen und so ganz nebenbei auch noch neues Material präsentiert.
Big Daddy Wilson ist schon eine besondere Erscheinung. Schwarzer Anzug, Hut, Sonnenbrille – eine feinere, gediegenere Version von James und Elwood Blues, ein Gentleman des Soul, ein nur zu gern gesehener und gehörter Anachronismus mit einer herausragenden Stimme und mehr Gefühl auf der Zungenspitze als viele andere Sänger im gesamten Körper. In der Harmonie war Wilson schon mehrfach zu Gast, jetzt ist er im Rahmen seiner „Deep in my Soul“-Tour erneut in Bonn, mühelos einen Zwölftakter nach dem nächsten veredelnd. Und das nicht allein. Denn gerade gegen Ende des Konzerts zeigt seine Band, dass sie mehr ist als nur ein Fundament für den 59-Jährigen. Viel mehr.
Errare ergo sum: Ich irre, also bin ich. Unter dieser Prämisse könnte das Menschenbild des Jan Philipp Zymny in etwa zusammengefasst werden. Denn sonderlich treffsicher ist der Homo Sapiens im Laufe seiner Entwicklung beim Erkenntnisgewinn nicht gewesen, erst recht nicht logisch oder effizient, sondern vielmehr kompliziert, komplex, zu Übertreibungen und Verallgemeinerungen neigend und mit einem Hang zu verwirrenden Geschichten ausgestattet. Akzeptiert man diese Charakterisierung, ist Jan Philipp Zymny gewissermaßen der Idealmensch. Wer könnte also besser das Wesen seiner Art ergründen als der zweimalige deutsche Poetry-Slam-Meister? In seinem neuen Programm „How to Human“ versucht er, die Eigenheiten dieser seltsamen Wesen zu verstehen, die sich selbst als Herrscher des Planeten sehen und doch letztlich noch nicht einmal die eigene Natur im Griff haben. Stichwort Sex. Und Krieg. Und Sehnsucht nach einer Rückkehr des Domino Days.
Akkorde schrammeln? Kann jeder. Die wahre Kunst der Gitarre beginnt erst danach. Schnelle, virtuose Läufe, Pickings und Tappings erfordern ein ganz anderes technisches Niveau und bringen auch erfahrene Musiker mitunter an ihre Grenzen. Beim International Modern-Acoustic Guitar-Festival in der Harmonie haben nun vier Saiten-Spezialisten aus Deutschland, den USA und aus Kanada gezeigt, was sie alles können. Und was nicht.
Europa hat es derzeit schwer. Als Kontinent ohne Kontur und Staatenkollektiv ohne gemeinsame Identität muss sich der Kontinent mit Druck von allen Seiten auseinandersetzen. Im Westen Trump, der Teufel mit den drei goldenen Haaren, im Osten das Kreml-Monster Wladimir, und dahinter auch noch der chinesische Drache – da kann einem schon mal Angst und bange werden. So sehen es zumindest Onkel Fisch, die in ihrem Programm „Europa – und wenn ja, wie viele?“ hinter die Kulissen einer oftmals ungeliebten Union blicken und dort die eigentlichen Schuldigen entdecken. Allen voran: Deutschland. Und die Finanz-Mafia. Was mitunter ein und das selbe ist.
Eigentlich ist er doch ein ganz Lieber, der Jens Heinrich. Ein freundlicher, gemütlicher Kumpeltyp für alle Lebenslagen, sensibel und aus Angst vor Vereinsamung zu allem bereit. Eben einer, mit dem man Pferde stehlen kann – und notfalls auch einer, den man ohne zu zögern zurücklässt, wenn es brenzlig wird. Zumindest stellt sich Jens Heinrich Claassen bei seinem schwach besuchten Solo-Programm im Haus der Springmaus so dar. „Ich komm schon klar“, sagt er, nachdem seine Freundin ihn sitzen gelassen hat. Schließlich ist er Komiker. Und so versucht er, aus der Not eine Tugend zu machen und lässt sich auf der Bühne über seine unglückliche Situation aus. Abgeklärt will er dabei wirken, so als wäre alles in Ordnung. Doch immer wieder kommt er auf das selbe leidige Thema zu sprechen. Und das ist auf Dauer leider ein bisschen eintönig.
Die schweren Schwingen flirren im Scheinwerferlicht. Immer wieder transformiert Gaye Su Akyol ihren Kunststoff-Mantel zu ihren Flügeln, mit denen sie mitunter ein wenig an einen Engel erinnert und die doch nur ein Symbol für den Freiheitsdrang der jungen Türkin sein dürften. Grenzen in der Kunst überfliegt die 33-Jährige einfach, und das in beide Richtungen: Nach Westen, um den Grunge von Nirvana ebenso zu rezipieren wie die Chansons von Edith Piaf, und nach Osten, um die anatolische Rockmusik der 60er und 70er Jahre wiederzubeleben und zu revolutionieren. In der Harmonie hat Gaye Su Akyol nun mit einem phänomenalen Auftritt für ein starkes Finale des „Over the Border“-Weltmusikfestivals gesorgt, hat Metaphern und surrealistische Bilder in faszinierende Töne verwandelt und dabei zugleich die politische Situation in ihrer Heimat kommentiert.
Die Stilfrage stellt man an diesem ganz besonderen Abend in der Harmonie besser nicht. Wozu auch? Eine Antwort entfällt, werden doch Genres und musikalische Grenzen im Rahmen des „Over the Border“-Festivals ohnehin konsequent aufgelöst. Dafür ist es schließlich da. Doch nur wenige Formationen der vergangenen zwei Wochen setzen diesen Ansatz so radikal um wie Rasga Rasga und Sidi Wacho, die am vorletzten Tag des Festivals gemeinsam aufdrehen und den Endenicher Club in ein Tollhaus verwandeln. Ska trifft Gypsy trifft Balkan trifft Latin trifft Pop. Eine Einordnung? Ist unmöglich, das Chaos vielmehr Programm. Doch das macht zumindest großen Spaß. Und trifft beim Publikum mitten ins Schwarze.
Finger flirren über Tasten, erschaffen fliegende Töne, miteinander wetteifernde Phrasen, sich umschlingende Melodien. Musik, die tanzt. Was könnte man auch anderes erwarten, wenn sich zwei derart herausragende Pianisten kubanischer Herkunft wie Marialy Pacheco und Omar Sosa begegnen? Sie eine der aufregendsten Vertreterinnen ihrer Zunft, die erste Gewinnerin der Piano Solo Competition des Montreux Jazz Festivals und eine Künstlerin, die sich ständig neuen Herausforderungen stellt; er einer ihrer Helden, ein virtuoser Wahnsinniger im positiven Sinne, der mühelos zwischen Rythmen und Stilen wechselt und es dennoch schafft, nie abzudriften. 2017 haben die beiden bereits auf Pachecos Album „Duets“ miteinander gearbeitet – beim Finale der „Aspekte“-Reihe im Kammermusiksaal des Beethovenhauses führen sie dies nun aus und treten in einen Dialog ein, der schöner kaum sein könnte.
Der eine rechnete mit Qinoa-Samen ab, der nächste mit dem europäischen Terror, dazu gesellten sich Tinder-Pointen, Stalker-Liebeslieder und ein eher peinlicher Regelsong: Das Finale des Prix Pantheon hat sich in diesem Jahr wieder als überaus bunt und abwechslungsreich erwiesen, als hart umkämpfter und aufmerksam verfolgter Wettbewerb, bei dem eine Fachjury ebenso viel zu sagen hat wie das Publikum. Kurzum ein ideales Sprungbrett für Singer-Songwriter und Poetry-Slammer, Stand-Up-Comedians und Kabarettisten, die so richtig durchstarten wollen. Zum 25. Mal hat das Bonner Pantheon in Zusammenarbeit mit dem WDR den legendären deutschen Satire- und Kleinkunstpreis verliehen, hat junge Talente gefördert und alte geehrt. Und auch wenn das Jubiläum an sich leider nicht in angemessener Art und Weise gefeiert wurde, konnte sich die knapp dreistündige Gala doch sehen lassen, nicht zuletzt dank einiger überzeugender Finalisten – und eines würdigen Ehrenpreisträgers.
Manchmal braucht es einfach einen anderen Blickwinkel, um ein Stück angemessen spielen zu können. Oder besondere Menschen. Am besten beides. Quadro Nuevo haben diese Erfahrung bereits mehr als einmal gemacht, insbesondere bei der Arbeit mit der Fürther Inklusionsband Vollgas, mit der sich auf einmal ein ganz neuer Klangkosmos für das berühmte Weltmusik-Quartett eröffnet. Etwa bei Astor Piazolla. „Wir von Quadro Nuevo haben schon mehrfach versucht, den 'Libertango' richtig hinzubekommen, es aber nie geschafft“, gesteht Saxofonist Mulo Francel bei dem ersten von insgesamt zwei Konzerten, das sein Ensemble und Vollgas im Rahmen von „Over the Border“ in der Harmonie spielen. „Mit den tollen Musikern hier auf der Bühne gelingt uns die Komposition dagegen mühelos.“