An diesem Abend läuft so einiges nicht rund für Marc Almond: Erst hat sein Flieger Verspätung, so dass der Sänger aus Großbritannien mitsamt seiner achtköpfigen Band ohne Umwege (und ohne Essenspause) ins nahezu ausverkaufte Gloria rasen muss, dann entspricht die Bühne nicht seinen Vorstellungen, und zu guter Letzt ist er durch all den Stress merklich angeschlagen. „Mir geht es gerade nicht so gut“, gesteht er direkt zu Beginn seines Auftritts um 21.15 Uhr, „aber ich werde so lange durchhalten, wie ich kann.“ Und so singt er rund 90 Minuten lang ein Lied nach dem anderen, gibt alles – und kann dank der Leidenschaft in seiner Stimme zumindest ab und zu seine Magie wirken.
Kein Bock auf Block? Nach einem Konzert von Wildes Holz mag mancher das anders sehen. Seit einem Vierteljahrhundert beweist das Trio um Deutschlands ersten diplomierten Jazz-Blockflötisten Tobias Reisige, dass das aus frühen Musikschulaufführungen gefürchtete Instrument weitaus besser und vielseitiger ist als sein Ruf. Man muss es halt nur spielen können. Dann nämlich gibt es kaum ein Genre, das eine Blockflöte nicht zu bereichern vermag. Von Barock bis Metal, von Jazz bis hin zu elektronischer Musik ist alles möglich. Und Wildes Holz wissen, wie das geht. Im Rahmen ihrer Jubiläumstour sind die Drei nun auch wieder ins nahezu ausverkaufte Haus der Springmaus gekommen, das längst eine ihrer Stammspielstätten ist. Zu Recht.
Die Gitarren jaulen, das Schlagzeug stampft und der Bass pulsiert, darüber eine fantastische Alt-Stimme voller Energie und Leidenschaft: Die Musik der Pretenders, die seit viereinhalb Jahrzehnten Punk, Bluesrock und den frühen Formen des Grunge vermischt, wirkt heutzutage immer noch genauso stark wie auf dem 1980 erschienenen, mit dem Bandnamen betitelten Debütalbum, mit dem die Formation um Sängerin Chrissie Hynde auf einen Schlag internationale Berühmtheit erlangten. In der gut gefüllten und dementsprechend stickigen Live Music Hall sorgt die Band denn auch für Begeisterung, nicht zuletzt dank des brillanten Gitarristen James Walbourne – und dank Hynde, der ewigen Rockerin, die eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass gute Musik jung hält.
„Ich sage euch, wenn ihr aufwachen müsst“: Ja, das tut Erja Lyytinen tatsächlich. In der Mitte ihres Konzerts in der Harmonie hat die Finnin mit den heißen Saiten ein kleines Wiegenlied eingebaut, damit das Publikum zumindest ein paar Minuten lang verschnaufen kann. Wäre jetzt nicht zwingend nötig gewesen, dafür ist das offizielle Set mit gerade einmal 75 Minuten nicht lang genug, aber die Geste zählt, zumal ihre Fans ansonsten Feuer und Flamme sind und den krachenden Bluesrock der 48-Jährigen ausgiebig feiern. Zu Recht – zumindest was Lyytinen angeht.
Insekten genießen in der modernen Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf. Komische Augen und Fühler, zu viele Beine, zu viel Gekrabbel – bah, eklig. Und essen will man sie auch nicht, zumindest
nicht im westlichen Kulturkreis, da können sie noch so nahrhaft sein. Doch diese Vorurteile will das Theater Marabu nicht stehen lassen. In Kooperation mit dem Theater Bonn und dem Beethovenfest
gibt es den „Bad Bugs“ eine Bühne, eine mit Ensemble-Mitgliedern besetzte Käferband (inklusive der beiden Marabu-Chefs Tina Jücker und Claus Overkamp) mit harter Schale und weichem Kern. Die
Premiere fand am vergangenen Samstag im Rahmen des Beethovenfests auf dem Vorplatz der Kreuzkirche statt, der durch die Intervention der Bugs tatsächlich ein bisschen bunter wurde.
Zweites Album, erste Tour unter eigenem Namen, keine Kompromisse und jede Menge Spaß: Treesha scheint mit „Love, Scars & Attitude“ endgültig aus dem Schatten ihres Mentors Gentleman herausgetreten zu sein. Die charismatische Sängerin gehört nun einmal nicht in den Hintergrund, sondern ins Rampenlicht, wo sie ihre Leidenschaft für die Musik ausleben und ihre fantastische Altstimme ausloten kann. In Bonn und damit nahe ihrer Wahlheimat Köln hat sie nun mit einem überzeugenden, begeisternden Konzert Bilanz gezogen – und die fällt im Großen und Ganzen gut aus.
Die Superstars des 21. Jahrhunderts müssen sich warm anziehen: Julian Dawson hat den Weg in die digitale Welt gefunden. Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag hat der Singer-Songwriter ein neues
Album veröffentlicht, das erstmals auch auf den gängigen Streaming-Plattformen zu finden ist, und das, so glaubt er, dürfte bald zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für alle anderen Musikerinnen
und Musiker werden, die dort aktiv sind. Denn Dawson will hoch hinaus. Sehr hoch. „Ich mache Taylor Swift nervös“, scherzt er bei seinem Konzert in der Kulturkirche. Immerhin hat er schon eine
dreistellige Gefolgschaft, da kann der große Durchbruch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und wenn daraus doch nichts wird? Macht er halt weiter wie bisher. Das hat bisher ja auch
funktioniert.
Im Grunde geht Andreas Langsch alles zu schnell. Die Daten prasseln nur so auf ihn ein, die Nachrichten aus den Filterblasen, die „Gefällt mir“-Reaktionen, die Fragen nach einem neuen Programm, die Katzen-Videos und das Weltgeschehen, das längst nicht mehr nur in der Tagesschau aufgearbeitet wird, sondern quasi live miterlebt werden kann, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. „Ich komm nicht mehr mit“, klagt der 35-jährige Klavierkabarettist, der bei seinem ersten Besuch in der Lounge des Bonner Pantheons allerlei Lieder zum allgegenwärtigen Wahnsinn und zu den Herausforderungen seiner Generation Y mitgebracht hat. Und die kommen durchaus an, auch wenn Langsch mitunter ein bisschen hektisch wirkt, weil er seine eigenen Ratschläge nicht beherzigt – beziehungsweise mitunter nicht berücksichtigen kann. Aber schön langsam und der Reihe nach.
Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen lassen viele Menschen ratlos zurück. Hat denn niemand etwas dazugelernt in den vergangenen 80 Jahren? Warum haben die Rechten wieder Aufwind – und warum vor allem im Osten? Angesichts dieser Fragen und des nahenden Tags der Deutschen Einheit war schon im Vorfeld klar, dass sich die neueste Ausgabe des WDR Kabarettfests im ausverkauften Pantheon zumindest partiell mit dem politisch geteilten Deutschland auseinandersetzen würde. Sowohl Nils Heinrich als auch Jürgen Becker und Moderator Tobias Mann suchen auf ihre Weise nach Antworten, der eine in der Gegenwart, der andere in der Vergangenheit und der dritte in der Zukunft. Nur das Liedermacher-Trio Frau Rotkohl setzt lieber auf gehobenen Blödsinn – was in manchen Momenten dringend notwendig ist.
Ach ja, die Pharma-Branche. Mächtig, gierig und skrupellos knüpft sie in den Schatten ihr Netz und vertreibt von dort aus Medikamente zu Mondpreisen, die überhaupt nicht helfen, zumindest nicht den Patientinnen und Patienten. So stellen es zumindest Melanie Haupt und Judith Jakob dar. Die beiden Kabarettistinnen tauchen in ihrem Stück „La Pharmiglia – Organisiertes Gebrechen“ in die Weißkittel-Szene ein, legen die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems offen und rechnen – häufig singend – mit der Pillen-Mafia ab. So auch im Haus der Springmaus, wo sie durchaus einige spannende Geschichten zu erzählen haben, oft aber auch an der Oberfläche bleiben. Und zu sehr auf plumpe Komik setzen.
Immer anders, immer außen, geboren auf einem Friedhof und ständig auf der Suche nach einem Leben ohne Angst im Land der Mörder: So beschreibt sich Michel Friedman in seinem autobiographisch geprägten Prosa-Gedicht „Fremd“, das Emel Aydoğdu jetzt im Rahmen der Tage des Exils erstmals auf die Werkstattbühne des Theater Bonn gebracht hat. Es ist ein Text, der bewegt und berührt, aber zugleich das Publikum fordert, ein Text voller Fragmente und Sprachspiele, voller Elipsen und vielfach aufgeladener Schlagworte, lyrisch, poetisch, eindringlich, komplex. Ein Text, der Antisemitismus beschreibt und die über Generationen erlittenen Traumata von offiziell Staatenlosen, die nicht einfach vergessen können; ein Text, der das Gefühl des Fremdseins vermitteln will und der sehr intime Gedanken offenbart, der den Schmerz einer Familie spürbar macht und dadurch die Pein eines ganzen Volkes. Kein leichter Stoff. Und doch gelingt es Julia Kathinka Philippi, Jacob Eckstein und Riccardo Ferreira, ihn erlebbar zu machen und ihn in minimalistische, aber dafür überaus starke Bilder zu übersetzen.
Der Klimawandel ist wahrscheinlich die größte Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Die Weltbank geht davon aus, dass 2050 rund 216 Millionen Menschen infolge von Dürren, Überschwemmungen und Unwettern auf der Flucht sein werden, 216 Millionen, die ihr Glück im globalen Norden suchen werden. Dort wiederum schließt man schon jetzt die Grenzen und tritt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit Füßen. Das klagen Regisseur Volker Lösch und Autor Lothar Kittstein nun mit einer Uraufführung im Schauspiel Bonn an, die alles umfassen und diskutieren will, das Leid der halben Welt zu schultern versucht – und letztlich an der eigenen Form scheitert.
Zwei Jahre währt der Krieg in der Ukraine inzwischen, zwei Jahre voller Terror und Leid, verursacht durch einen Angriff Russlands, der mehr auf Zerstörung denn auf Eroberung ausgerichtet scheint. Schon droht die Unterstützung der Öffentlichkeit für millionenschwere Hilfspakete zunehmend zu schwinden – da kommt das Theaterstück „Der geschlossene Himmel“ von Neda Nezhdana gerade recht, in dem die Schrecken eines sterbenden Landes an vier Einzelschicksalen erlebbar gemacht werden. Jetzt hat Regisseurin Maryna Liushyna es in einer eindringlichen Inszenierung auf Ukrainisch mit deutschen Untertiteln auf die Bühne der Brotfabrik gebracht.
Auf den ersten Blick ist es eine eher ungewöhnliche Kombination: Drei der besten Hip-Hop-Tänzer Simbabwes treffen im Pantheon auf den Liedermacher Kelvin Jones, der mit seiner teils kratzigen und teils samtigen Stimme nachdenkliche Geschichten mit feinem Gitarrenspiel unterlegt. Gut, alle drei Künstler haben die selben Wurzeln, scheinen musikalisch aber doch so unterschiedlich zu sein, dass Jones zu Beginn seines Auftritts überlegt, ob die Reihenfolge nicht anders herum besser gewesen wäre. Die eindeutige Antwort: Nein. Denn als der 29-Jährige erst einmal loslegt und vom Singer-Songwriting zum schillernden, tanzbaren Pop übergeht, gibt es sowohl im Saal als auch auf der Bühne kein Halten mehr. Jetzt wird getanzt. Und zwar nach allen Regeln der Kunst.
Flirrende Klänge und tanzende Lichter, leise pulsierende Club-Sounds und hypnotische Synthi-Flächen: Der KunstRasen 2024 ist am vergangenen Freitag mit einem Auftritt von Ambient-Pop-Künstler Christopher von Deylen alias Schiller zu Ende gegangen. Es war ein Abend zum Entspannen, ein ruhiger, unaufdringlicher Ausklang einer abwechslungsreichen Saison, die immerhin rund 90.000 Besucherinnen und Besucher in die Gronau lockte. Daran hatte Schiller leider nur wenig Anteil, zumindest was die reinen Zahlen angeht: Gerade einmal 1700 Gäste sind laut offizieller Angabe zu dem Konzert von Deylens und seiner beiden Trio-Kollegen Martin Fischer (Drums) und Günter Haas (Gitarre) gekommen. Eigentlich schade, denn auch wenn die verschiedenen Stücke mehr oder weniger ineinanderflossen und nur von Hardcore-Fans auseinandergehalten oder gar benannt werden konnten, sorgten die Drei doch für einige schöne Momente.
Im Grunde haben wir es schon immer gewusst: Gossip sind in Wirklichkeit Korn. Oder umgekehrt? Ist auch egal. Der Beweis ist beim Auftritt von Sängerin Beth Ditto und ihren Mitstreitenden auf dem Bonner KunstRasen auf jeden Fall unübersehbar. Mitten auf der Base-Drum prangt noch immer der Schriftzug der legendären Nu-Metal-Band, und so etwas ist in der Regel eines der wichtigsten Identifikationsmerkmale im Musikgeschäft. Damit spielt man nicht. Gossip aber schon, vor allem wenn sich so eine Gelegenheit bietet wie in der Gronau: Offenbar hat Drummer Ray Luzier besagte Trommel nach dem Konzert am Montag einfach stehen gelassen, und Gossip haben natürlich zugegriffen. So viel Spaß muss sein, das ist in der Persönlichkeit von Ditto schon routinemäßig angelegt. Gleiches gilt für ihre Soul-Stimme, ihr Charisma – und ihre Streitbarkeit.
Wenn Korn spielen, herrscht Krieg. Krieg gegen Harmonie und Wohlklang, aber auch gegen die Lebenslügen des Alltags, gegen das Verschweigen von Wahrheiten und gegen die Unterdrückung von Emotionen. Die rohe, ungezähmte Energie der Nu-Metal-Ikonen ist Klang gewordene Wut, ein Ausdruck von Aufbegehren im Stil des Punks, gepaart mit dem Puls des Funk und der Härte des Metal, und zugleich eine anderthalbstündige Katharsis für das Publikum. Kein Wunder, dass Korn Wegbereiter für Bands wie Slipknot oder Limp Bizkit waren, mit ihrer Rotzigkeit, ihrem Zorn und einem gewissen Nihilismus, der sich vor 30 Jahren das erste Mal Bahn brach. Damals erschien das Debütalbum „Korn“. Aufgrund dieses Jubiläums ist das Quintett auf um Frontmann Jonathan Davis auf Tour, hat bei einem von insgesamt nur drei Deutschland-Terminen dem ausverkauften Bonner KunstRasen Station gemacht – und brachte das Gelände in Sachen Lautstärke an seine Grenzen.
Es ist fast wie eine kleine Zeitreise: 20 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Verschwende deine Zeit“ sind Silbermond auf den KunstRasen gekommen, und für manche der rund 5500 Besucherinnen und Besucher ist es wieder genau so wie damals, in den frühen 2000ern, als der Deutschrock geradezu explodierte und die Songs von Stefanie Kloß und Co im Radio in Dauerschleife liefen. „Symphonie“, „Durch die Nacht“ oder auch „Das Beste“ gehörten zum Soundtrack der letzten Millenials, weichgezeichnete Pop-Balladen und gefällige Rock-Nummern zwischen Weltschmerz und idealisierter Liebe. Mit ihrer „Auf Auf“-Tour wollen Silbermond nun an alte Erfolge anknüpfen – und erweisen sich 17 Jahre nach ihrem letzten Bonn-Konzert zumindest vorübergehend als erfreulich druckvoll.
Achtung, hier bin ich: Wer auf dem KunstRasen tatsächlich noch nicht wissen sollte, wer an diesem Abend auf der Bühne steht, der muss nur bei den ersten Songs etwas genauer hinhören. Schließlich liebt es Jason Derulo, sich selbst zu besingen und sich entsprechend zu inszenieren. Auf den Plakaten zu seiner „Nu King World Tour“ (der Titel soll sich laut Derulo allerdings auf seinen zweijährigen Sohn Jason King beziehen) posiert er noch mit goldener Dornenkrone – dagegen ist das Leder-Outfit, mit dem sich der 34-Jährige in der Gronau präsentiert, geradezu verhalten. Dafür gibt es Feuerfontänen, Lichtexplosionen und etliche laszive Tanzeinlagen, vereint in einer perfekt durchchoreographierten Show, die das Publikum von der ersten Sekunde an mitreißt. Und dennoch Fragen aufwirft.
Aus irgendeinem Grund scheinen singende Surfer ein überaus erfolgreicher Stereotyp zu sein. Die Vorstellung, dass abends, nach einem Tag auf den Wellen, ein Sonnyboy am Strand zur Gitarre greift und Lagerfeuerlieder spielt, spricht offenbar viele Menschen an. Naturverbundenheit, Freiheit und gute Laune sind eben eine gute Kombination. Das hat schon Jack Johnson mit seinen verspielten Songs wie „Upside Down“ bewiesen, oder auch der im Vergleich etwas kantigere Ziggy Alberts. Letzterer war am vergangenen Donnerstag zu Gast beim Tanzbrunnen – und verzauberte mehr als 3000 Besucherinnen und Besucher mit Songs, die vom Meer erzählen.
Es soll Menschen geben, die Keane unter dem Stichwort „One-Hit-Wonder“ abgespeichert haben. Moment, Keane? War das nicht die Band mit der Weltschmerz-Hymne, wie hieß die noch, ich komm gleich drauf, ähm, ach ja: „Somewhere Only We Know“. Die Nummer, die nach 20 Jahren wie Phönix aus der Asche wieder auferstanden ist, mit mehr als einer Milliarde Streams via Spotify, einer Dauerschleife auf TikTok. Das ist also Keane. Hatten die noch andere große Erfolge? Ja, ein paar, allen voran „Everybody’s Changing“, ebenso wie „Somewhere Only We Know“ ein Titel des einstigen Debüt-Albums „Hopes and Fears“. Darüber hinaus haben die Briten, die irgendwo zwischen Coldplay, A-ha und Travis eingeordnet werden könnten, vier weitere Alben produziert, und auch wenn keines den Erfolg ihres Erstlings einstellen konnte, sind doch einige spannende Nummern entstanden.
Ja, Ian Astbury kann es noch. Singen, natürlich. Oder spricht man vielleicht doch lieber von predigen? Immerhin ist Astbury nicht irgendwer. Der Hohepriester von The Cult weiß ganz genau, wie er Menschen in seinen Bann zieht, wie man sie hypnotisiert und verzaubert mit wuchtigem Rock, der angeblich irgendwo zwischen Prä-Gothic und Post-Punk verordnet ist und der doch in kein herkömmliches Raster fällt. Zum 40. Jubiläum spielt die Kultband nun im Carlswerk Viktoria und zeigt, dass sie noch immer ihre Magie zu weben vermag. Selbst an einem Ort, der streng genommen zu klein für sie ist.
Die ganze Bühne strahlt. Ein Meer aus Weiß ergießt sich ins Publikum, zusammen mit einer Flut pulsierender Töne, die eine der innovativsten Indie-Bands im deutschsprachigen Raum mit jeder Menge Pathos und absolut brillanter Dramaturgie in Richtung Menge feuert. Der Auftritt der österreichischen Band Bilderbuch, die schon seit Jahren konsequent Konventionen sprengt, ist ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Green-Juice-Festivals 2024. Was schon etwas heißen will nach einigen überaus starken Programmpunkten bei fast perfekten Rahmenbedingungen. Sonnenschein pur, gute Stimmung, familiäre Atmosphäre und jede Menge zu entdecken – besser könnte das kleine Festival am Rand des Beueler Ortsteils Pützchen, das in diesem Jahr immerhin zum 15. Mal stattfindet, kaum starten, was angesichts mancher Wetterkapriolen der vergangenen Jahre keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr genießt das Publikum, das längst nicht mehr nur aus der Region stammt, sondern auch aus Sachsen, Hamburg und dem Schwarzwald nach Bonn kommt, diesen herrlichen Sommertag mit überaus partytauglicher Musik – und auch der ein oder anderen gesellschaftskritischen Passage.
Möglichst bunt, so hat es Mika am liebsten. Der libanesisch-britische Sänger mit einem Faible für ständig wechselnde, oft farbenfrohe und mitunter glitzernde Kostüme liebt das Spiel mit der Selbstinszenierung, das mit seinen poppig-perlenden Songs einhergeht und ihn in den vergangenen 17 Jahren vor allem in Frankreich und Italien überaus populär gemacht hat. Kein Wunder, war er dort schließlich über Jahre hinweg als Juror für diverse Casting-Formate tätig, moderierte eine eigene Unterhaltungsshow und 2022 auch den Eurovision Song Contest in Turin. In Deutschland hat Mika hingegen nie so richtig Fuß fassen können. Zu seinem Konzert in Bonn waren auf jeden Fall nur knapp 2000 Fans zum KunstRasen gekommen, um mit dem 41-Jährigen im Rahmen der „Club Apocalypso Summer Nights“-Tour ein paar schöne Stunden zu verbringen. Und die konnte man auch bekommen. Sofern man beim musikalischen Anspruch ein paar Abstriche machte.
Wie genau kann man Jamie Cullum beschreiben? Als Jazz-Pianist? Das trifft durchaus auf den 45-Jährigen zu, ist aber eigentlich zu wenig. Denn Cullum kann und macht mehr. Er beherrscht Latin und Soul, Funk und Boogie, Pop und Rock, kennt jede dieser Schubladen – und hat großen Spaß daran, den jeweiligen Inhalt auszukippen und alles auf einen Haufen zu schieben, um sich dann mit Wonne aus dieser Melange zu bedienen. Ist schließlich alles Musik, und mehr braucht Cullum nicht, um für Stimmung zu sorgen. Und wie. Auf dem Bonner KunstRasen hat er sich nun zwei Stunden lang in eine Art Rausch gespielt.
Es gibt Werte, über die man nicht diskutieren müssen sollte. Freiheit zum Beispiel. Oder Liebe. Für Kettcar steht das außer Frage. Für manch andere leider nicht. Genau deshalb drehen sich die Lieder der Hamburger Band um diese Themen, um Menschlichkeit, Verständnis und Wertschätzung im wahrsten Sinne des Wortes. „Humanismus ist nicht verhandelbar“, betont Frontmann Marcus Wiebusch während des Auftritts der Hamburger, mit denen die insgesamt drei Open-Air-Konzerte 2024 auf dem Roncalliplatz eingeläutet werden – und rund 2000 Fans beziehen Position und stimmen zu. Manchmal muss man eben ein Zeichen setzen und auf Veränderungen hoffen. „Eine Revolution werden wir nicht anzetteln“, gesteht Wiebusch, „aber Musik hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen, die das selbe fühlen, und das ist nicht Nichts.“
Eigentlich müsste auf dem KunstRasen an diesem Donnerstagabend ein Warnhinweis für Diabetiker stehen: Vorsicht, Zucker in der Luft. Doch das würde in die Irre führen, denn auch wenn Zucchero, der nach dem italienischen Wort für Zucker benannte Rock-Star aus der Romagna, den ein oder anderen extra-süßen Klammerblues a la „Senza una Donna“ im Gepäck hat, so lässt sich die Musik des 68-Jährigen längst nicht nur darauf reduzieren. Seit nunmehr 40 Jahren verknüpft er überschwenglich-expressive Emotionen mit bombastischer Instrumentierung einerseits und der Cantautore-Tradition seiner Heimat andererseits, erweitert um das Zwölftakter-Feeling, das er sich bei den Kollegen aus den USA abgeschaut hat und das gar wunderbar zu seiner markigen, kratzenden Stimme passt. Auf dem Bonner KunstRasen lässt er sich auf jeden Fall nicht lumpen und beschert dem Publikum zusammen mit seiner herausragenden Band einen unvergesslichen Abend.
Folk-Fans sind hart im Nehmen. Ein bisschen Regen kann sie nicht verscheuchen, ein bisschen mehr ebenso wenig. Ein Glück für das Folk!Picknick, das am vergangenen Samstag auf dem KunstRasen-Gelände stattfand und von einem heftigen Schauer samt kurzzeitiger offizieller Gewitter- und Sturmwarnung unterbrochen wurde. Das zahlenmäßig leider überschaubare Publikum hielt jedoch aus, machte das Beste aus der Situation und konnte nach einer Viertelstunde im Matsch tanzen. Und hervorragende Musik aus der lokalen und regionalen Szene genießen.
6500 Besucher des Bonner KunstRasens waren am vergangenen Freitag hin und her gerissen zwischen Kult und Sport: Die Ohren in Richtung Bühne gespitzt und die Augen auf die Smartphones gerichtet, versuchten die Fans von ZZ Top den Spagat zwischen deftigem Bluesrock und dem Viertelfinalspiel Deutschlands bei der Fußball-EM 2024. Keine leichte Aufgabe angesichts eines nervenaufreibenden Spiels auf der einen und einem technisch beeindruckenden Konzert auf der anderen Seite. Frontmann Billy Gibbons, Drummer Frank Beard und der ehemalige Gitarren-Techniker Elwood Francis, der den vor drei Jahren unerwartet verstorbenen Dusty Hill ersetzt hat, machten von der ersten Sekunde an Druck, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Mit „Got Me Under Pressure“ hämmerte das Trio gleich einen ihrer größten Hits raus, bei dem der unverwechselbare Sound von Gibbons und das knackige Spiel von Beard bei den Fans für Euphorie sorgte. Doch leider währte das Glück nicht allzu lange, wegen der Spanier natürlich – und wegen eines extrem kurzen Auftritts.
An Greta van Fleet scheiden sich die Geister. Die einen haben das Quartett aus Frankenmuth, Michigan mit dem Erscheinen ihres Debütalbums „Black Smoke Rising“ vor nunmehr sieben Jahren als
Epigonen von Led Zeppelin abgestempelt, die anderen ihren Retro-Sound bewundert. Steven Wilson, immerhin das Mastermind hinter Porcupine Tree und einer der spannendsten Vertreter melodischen
Progressive Rocks, hat sie 2019 in einem Interview für das Rock-Magazin „eclipsed“ als „armselige, drittklassige Led-Zeppelin-Imitation“ bezeichnet – ein ziemlicher Tiefschlag. Und zumindest
heutzutage meilenweit von der Wahrheit entfernt. Denn was die Gretas bei ihrem Auftritt vor rund 7000 Fans auf dem Bonner KunstRasen zeigen, ist eine exzellente, abwechslungsreiche und
vielschichtige Rock-Show einer Band, die selbstbewusst auf den Schultern von Riesen steht und zugleich dabei ist, ihren eigenen Weg zu beschreiten. Und der macht durchaus Lust auf mehr.